Nach über 700 Seiten dieser Biografie ist der Sänger am Ende, physisch und künstlerisch. Johnny Cash, der grösste Star der Country Musik, ist drogenabhängig und schwer krank als er den Musikproduzenten Rick Rubin trifft.
Rubin ist nicht Country. Er hat mit Hip-Hop-Bands gearbeitet und er bringt ein paar Songs mit, die Cash gefallen könnten. Auch ein Lied der amerikanischen Band «Nine Inch Nails» ist dabei. Johnny Cash zögert, hat Einwände, aber schliesslich nimmt er den Song auf. Es wird das Beste, was er je gemacht hat.
Ein Leben der Extreme
«Hurt», der Song und das Video von Regisseur Mark Romanek zeigen einen Mann, fast blind und von Krankheit gezeichnet, der sich auflehnt und zugleich akzeptiert, dass der Verfall das letzte Wort behält in diesem Leben der Extreme. Seine Frau June ist kurz zu sehen, das Haus, in dem sie leben und die Filme aus dem Cash-Museum, die in rasend schneller Folge am Betrachter vorbeiziehen.
Alles ist in diesen Bildern, in dieser Musik. Es ist die ganze Story in vier Minuten. Vier Minuten für sieben Jahrzehnte.
Komplexe Persönlichkeit
Alles beginnt mit einer tiefen Verletzung. Johnny Cash ist neun Jahre alt, als sein Bruder Jack bei einem Unfall stirbt. Der Vater, Ray Cash gibt Johnny daran Mitschuld. Das sitzt tief und das wird bleiben, als die Karriere beginnt - und weit darüber hinaus. Es ist der Schlüssel dieses Lebens, seiner Schuldgefühle, seiner Antriebe und seiner Abstürze.
Prediger hatte der Bruder werden wollen und etwas davon ist in dem, was Johnny Cash später wird. Er ist ein charismatischen Geschichtenerzähler und Entertainer. Eine komplexe Persönlichkeit voller Widersprüche, die sich nie ganz auf eine Haltung festlegen lässt und gerade dadurch so anziehend bleibt.
Intimität und Kritik
Cash, der Star des Country, mit Bob Dylan befreundet, will auch beim Pop-Publikum erfolgreich sein. Der Rebell und Patriot, der Stellung bezieht für die Ausgeschlossenen der amerikanischen Gesellschaft, lässt sich von Präsident Richard Nixon ins Weisse Haus einladen und für den konservativen Wanderprediger Billy Graham engagieren.
Robert Hilburn, viele Jahre Musikkritiker der «Los Angeles Times», lernt Cash 1968 beim legendären «Folsom Prison»-Gefängniskonzert kennen. Es entsteht eine enge persönliche Beziehung, bis zu Cashs Tod im Jahr 2003. Aus intimer Kenntnis und kritischer Haltung gewinnt Hilburns Biografie mehr Wahrheit über Johnny Cash als die zahllosen Versuche zuvor. Sie trennt die Legenden von den Tatsachen ohne die grundsätzliche Sympathie für den zerrissenen Charakter zu verlieren.
Attraktive Legenden
So folgt man den Spuren einer jahrzehntelangen Drogensucht, die mit ein paar Wachmachern auf den ersten Konzerttourneen beginnt und später zu deutlichen Persönlichkeitsveränderungen führt. In Nahaufnahme zeigen sich Cashs notorische Untreue, das Scheitern seiner ersten Ehe und die schwierige Beziehung mit seiner zweiten Frau June Carter-Cash. Der Hang auch, attraktive Legenden in eigener Sache zu erfinden, die Hilburn mit knappen Hinweisen auf die Realitäten entkräftet.
Deutlich wird auch, wie Angst das Leben dieses so furchtlos scheinenden Mannes leitet. Angst und Panik vor fast jedem Auftritt und vor dem Scheitern an den eigenen künstlerischen Ansprüchen, an der eigenen grossformatigen Rolle. Ende der 1980er-Jahre ist Johny Cash dann tatsächlich am Ende. Die «American Recordings» und «Hurt» werden zu seiner überraschenden Wiedergeburt. Sie bleiben.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Vorabend Musik, 21.2.2017, 16:05.