Als Pianistin schöpfte Irène Schweizer aus einem Füllhorn an Erfahrungen und Einflüssen, die sie in ihrem langen, von Musik erfüllten Leben gesammelt hat: Eine eigenwillige Mischung aus frei improvisierten Stücken, liebgewonnenen musikalischen Wendungen, eigenen Kompositionen, Jazzstandards und südafrikanischer Folklore.
Irène Schweizer war eine Improvisationskünstlerin, die kaum Noten lesen konnte und ihre Musik aus der Imitation entwickelte – um am Ende gar in der Hochkultur ankam.
Jazz per Zufall
Den Jazz entdeckt die jugendliche Irène, als sie eine Amateurband proben hört. Wenn die Musizierenden gerade nicht üben, setzt sich das Mädchen selbst an die Instrumente. So lernt sie Dixieland Jazz, Boogie-Woogie, Ragtime kennen.
In diesen endlosen Stunden, in denen sie experimentiert, erobert Schweizer nicht nur das Piano, sondern auch das Schlagzeug.
Ähnlich wie die Wucht der Drums zieht sie auch die wütende Variante der frei improvisierten Musik an, die sie in den 1960ern beim amerikanischen Pianisten Cecil Taylor entdeckt. Schweizer hämmert auf ihr Klavier ein, bis sie blaue Flecken an den Unterarmen bekommt.
Thelonious Monk bringt sie zum Weinen
Später kann sie mit dieser heftigen Spielweise nicht mehr viel anfangen. Zum Umdenken bringt sie ein Konzerterlebnis: 1972 hört sie an nur einem Abend Cecil Taylor, den kompromisslosen Free Jazzer, und Thelonious Monk, das schräge Bebop-Genie. Die zeitnahe Gegenüberstellung ist ein Schlüsselerlebnis.
Gerührt von Thelonious Monks Bescheidenheit und Originalität setzt sie auf ihre eigenen kreativen Impulse. Monks Stücke bleiben eine liebevoll gepflegte Konstante in ihrem Repertoire.
Im Alleingang
Schweizer beginnt, als Solokünstlerin aufzutreten. Unter anderem am frisch gegründeten Willisauer Jazzfestival, dem Geburtsort des internationalen Free Jazz.
Irène Schweizer ist eine, die gern gegen den Strich kämmt. Sie bleibt aber stets auch warm und kommunikativ gegenüber ihrem Publikum. Als damals 33-Jährige möchte sie möglichst viele Leute ansprechen, wie sie 1974 in einem Interview mit SRF betont.
Wo sind die Frauen?
Die Pianistin ist in den 70ern auch in der Frauen- und Lesbenbewegung aktiv und setzt sich generell für eine kulturelle Umgebung ein, die ihren gesellschaftlichen Vorstellungen entspricht.
Nach Gründung des Kulturzentrums «Rote Fabrik» hilft sie mit, dass der Jazz auch dort Einzug halten kann. Gemeinsam mit dem Produzenten Patrick Landolt organisiert sie das «Taktlos Festival». Die beiden gründen auch gleich noch ein Label: «Intakt» – hier ist Schweizers Werk vollumfänglich verfügbar.
Eine engagierte Kulturaktivistin geht
Irène Schweizer ist im Pensionsalter, als Gitta Gsell einen abendfüllenden Dokumentarfilm über sie dreht. Kurz danach spielt sie im KKL und der Tonhalle Zürich zwei Solokonzerte.
Spätestens jetzt ist klar: Irène Schweizer ist in der Hochkultur angekommen. 2018 gewinnt sie den Kulturpreis des Kantons Zürich und den Schweizer Musikpreis. Beide zeichnen das Lebenswerk der damals 77-Jährigen aus.
2021, kurz nach ihrem 80. Geburtstag, zieht sie sich aus gesundheitlichen Gründen vom Konzertbetrieb zurück. Es wird ruhig um die umtriebige Zürcherin. Ihr Stammplatz im Seebad Enge, wo sie sich in den Sommermonaten gern sonnte, bleibt leer. Nun ist Irène Schweizer nach langer Krankheit im Alter von 83 Jahren gestorben.