Witzig, warmherzig, unverkennbar: Sven Regener hat seinen eigenen Sound. Der Kopf der Band «Element of Crime» und Schöpfer von «Herr Lehmann» über seine Art Geschichten zu erzählen und Melancholie, die glücklich machen kann.
SRF: Auf Ihrer letzten Platte gibt es die Liedzeile «Wir haben keine Lösung, wir haben Lieder.» Lieder, keine Lösungen – ist das eine Antwort auf das Leben, das katastrophal sein kann?
Sven Regener: Es geht nicht um Antworten. Es geht darum, zu erzählen, sich damit zu beschäftigen. Man schafft eine neue Welt des Erlebens. Einen neuen Blick darauf, was man sonst als normale, alltägliche Erfahrung hat. Dafür ist die Kunst wichtig.
Ich weiss nicht, wie es in der Schweiz ist, aber die Deutschen sind ingenieurmässig unterwegs, was die Kunst betrifft. An und für sich ist die Kunst nicht so viel wert. Die muss immer noch etwas anderes: Geld einbringen, klüger machen, den Horizont erweitern. Oder beliebt: der Gesundheit dienen.
Das kann Kunst auch. Aber das Wesen der Kunst ist: Sie muss nicht. Ich glaube, ihr Wesen bestehen darin, uns mit der eigenen Existenz zu versöhnen.
Glauben Sie, dass es im Leben nichts zu lösen gibt? Es gibt keine Quintessenz, keine Moral von der Geschichte. So habe ich das bei Ihnen immer verstanden.
Es geht um ein grosses Rätsel, was das Leben ist. Man kann dieses Rätsel und alle Fragen, die sich aufdrängen, nur umkreisen. Es geht darum, Geschichten zu erzählen von konkreten Situationen und Menschen. Nicht von Pappkameraden, die für irgendwelche Prinzipien stehen. Das kann man machen, ich finde das aber fad.
Mein Ansatz in der Kunst ist es, Abstand zu finden zum Elend der eigenen Existenz.
Ich mag es lieber, wenn ich beim Lesen eines Romans an einem anderen Leben teilnehmen kann. Wenn ich mit Protagonisten identifiziere, sehe ich mich selbst aus einer gewissen Distanz. Diese Distanz ist wichtig. Mein Ansatz in der Kunst ist es, Abstand zu finden zum Elend der eigenen Existenz.
Im Essay «Zwischen Depression und Witzelsucht» schreiben Sie: «Der Mensch ist ein melancholisches Tier». Die Musik von «Element of Crime» wird oft als melancholisch, ja traurig bezeichnet. Ein Kompliment, finde ich. Aber auch ein Missverständnis?
Am Anfang haben wir darunter gelitten. Wir waren diese komischen Typen, die langsame und bittersüsse Lieder machen. Oft hiess es dann: Eure Musik ist so traurig.
Irgendwann stellte sich heraus, dass sich Menschen, die an Konzerte kommen, blendend amüsieren. In der Kunst ist auch das Traurige schön. Und das Schreckliche kann unterhaltsam sein.
Fragen Sie sich eigentlich manchmal, wie es Herrn Lehmann geht?
Immer. Er ist mittlerweile wie ein guter Freund. Ich identifiziere mich stark mit ihm. Wenn ich aber ehrlich bin, kann ich mich mit fast allen Figuren im Roman identifizieren. «Herr Lehmann» war ja mein erstes Buch.
Sie haben als Musiker angefangen, schreiben Romane, Drehbücher, Blogs, auch fürs Theater. Hat ihr Schaffen einen gemeinsamen Nenner?
Im Sinne einer Message? Nein. Wenn es eine gemeinsame Sache gibt, ist es die Liebe zu Rhythmus und Klang. Ich habe mich immer in erster Linie als Musiker gesehen. Ich war fast 40 Jahre alt, als ich mit dem ersten Roman angefangen habe. Meine Bücher haben einen gewissen Sound, der für meinen literarischen Stil eine grosse Rolle spielt.
Eine Band, die es seit fast 40 Jahren gibt, macht nicht jedes Jahr eine Platte. Es kann ganz schön langweilig werden. Ich habe das Glück, dass ich auch Romane schreiben kann.
Das Gespräch führte Barbara Bleisch und ist ein gekürzter Auszug aus der «Sternstunde Philosophie».