Als man noch nicht auf genügend Tonträger zurückgreifen konnte, musste man die Musik eigenständig einspielen: alles, was das Tagesprogramm benötigte, von Klassik über Jazz bis hin zur Unterhaltungsmusik.
«In den 1930er-Jahren gab es in der Schweiz bereits eine aufkommende Plattenindustrie», erklärt der Historiker Theo Mäusli. «Doch sie verfolgte eine falsche Strategie, das taucht in der Mediengeschichte immer wieder auf», fährt er fort.
Die Angst der Plattenindustrie
Anfänglich wehrte sich die Plattenindustrie dagegen, dass ihre Tonträger im Radio gespielt wurden, mit der Angst, ihre Produkte würden weniger gekauft werden, wenn sie am Sender liefen. So waren die Radiostationen gezwungen, ihre eigenen Live-Ensembles zu unterhalten, um die Musik des Tagesprogramms einzuspielen.
Erst später, mit der Gründung der Verwertungsgesellschaft «Suisa» und der Klärung der Urheberrechte löste sich dieser Widerstand. Man erkannte, dass die Reichweite des Radios gar gewinnbringend war.
Grosse Bandbreite auf hohem Niveau
«Zuerst lud man die Orchester aus den Hotels ein, bevor man eigene Orchester aufbaute», sagt Mäusli. Die Berufsmusiker in diesen Ensembles waren es gewohnt, für Touristinnen und Touristen ein breites Repertoire zu spielen und meisterten oft mehrere Instrumente.
Anfänglich wurden diese Ensembles noch live im Radio übertragen, bevor die Radiostationen dazu übergingen, die Musik in den eigenen Studios aufzunehmen. Ihr Output war enorm, es wurde wie am Laufband Musik arrangiert und eingespielt.
Orchester-Krieg
Die drei Landessender «Beromünster», «Sottens» und «Monte Ceneri» unterhielten jeweils eigene Orchester. Ein einheitliches Schweizer Radio-Orchester gab es nie. In der Geschichte der SRG wurde immer wieder um diese Radio-Orchester gestritten, nicht zuletzt aus finanziellen Gründen. Denn ihr Unterhalt war teuer. Aber auch ihr Standort war immer wieder Streitpunkt.
Eine besonders heftige Diskussion um die Radio-Orchester entbrannte 1943, auf die eine Nationalratsdebatte folgte. Sie geht als Orchester-Krieg in die Radiogeschichte ein.
Die Geburt der Unterhaltungsorchester
Durch den Bedarf nach mehr Unterhaltungsmusik am Sender wurden auch eigene Unterhaltungsorchester ins Leben gerufen. Dem Landessender Sottens stand bereits seit 1935 die Jazzkapelle «Bob Engel» zur Verfügung. Monte Ceneri gründete 1940 das Unterhaltungsorchester «Radiosa» und Radio Beromünster engagierte 1946 das «Unterhaltungsorchester Cedric Dumont».
Dieses Unterhaltungsorchester wurde 1951 umgetauft in «Basler Unterhaltungsorchester». Ab 1961 kannte man es als «Unterhaltungsorchester Beromünster». Nachdem 1966 Hans Möckel seine Leitung übernommen hatte, wurde es 1971 zum «Unterhaltungsorchester des Schweizer Radios» und später zur «DRS Big Band».
«Vermöckelte Musik»
Der Dirigent Hans Möckel kultivierte aus dem Unterhaltungsorchester eine Big Band, die sich immer mehr dem Jazz verschrieb. Doch die lokale Jazz-Szene nahm das nicht so wahr. «Man sprach immer von ‹vermöckelter Musik›, es wurde nicht improvisiert und es war zu kommerziell», erinnert sich Theo Mäusli an die 1970er- und 1980er-Jahre. «Es war nicht der Hot Jazz, den man hören wollte.»
Der Historiker und Experte für Radiogeschichte betont aber, dass die Big Band auf hohem Niveau spielte und eine wichtige Instanz für Berufsmusiker war: «Hier lernten sie zu arrangieren, bevor es Jazzschulen gab.»
Heinz Bigler: Schweizer Jazz-Pionier
Einer, der aus der Jazz-Szene kam und nie die Nase rümpfte über den Stilmix der Big Band, sondern ihre Qualität erkannte, war der Berner Saxofonist und Komponist Heinz Bigler.
Als Jugendlicher eiferte er als Autodidakt seinen Vorbildern nach und spielte Ton für Ton die Linien von Charlie Parker, Dizzy Gillespie oder Sidney Bechet auf Schallplatten nach. Bis er im Mitte-Zwanzig-jährig vom berühmten Jazz-Pianisten Joe Zawinul entdeckt wurde. Dieser lud Heinz Bigler nach Wien ein, wo er ein Klassisches Klarinettenstudium begann und gleichzeitig in der Band von «Fatty George» ein Gig nach dem anderen spielte.
Durch seinen zweiten Förderer, den Pianisten Friedrich Gulda, erhielt Heinz Bigler ein zweijähriges Stipendium für ein Jazz-Studium in den USA. Er war einer der ersten Europäer, die am Berklee Collage of Music in Boston Jazz studieren konnten. Zurück in der Schweiz gründete Heinz Bigler in Bern 1967 die erste autonome Jazz-Schule Europas, nach dem Vorbild von Berklee.
Als Komponist und Solist begleitete er die DRS Big Band während zehn Jahren. Der heute 90-Jährige erinnert sich an die Aufnahmesessions mit Hans Möckel und der DRS Big Band zurück und schwärmt: «Wir nahmen meist ‹One Take› auf.» Ein Durchlauf reichte also, und das Stück war fehlerfrei aufgenommen.
Musikförderung neu gedacht
Trotz des Erfolgs der DRS Big Band, besonders auch durch die TV-Auftritte in der Sendung «Teleboy» wurde sie 1986 aus Kostengründen aufgelöst, so wie alle Unterhaltungsorchester der SRG. Auch die Beiträge an die Klassischen Radio-Orchester wurden massiv gekürzt. Ein einschneidender Moment in der Radiogeschichte.
«Die Big Band konnte mit der Vielfalt der Pop- und Jazz-Industrie und ihren Festivals nicht mehr mithalten. Gute Musik, aber wenig Originelles», ordnete Theo Mäusli ein.
Der Grundgedanke der Musikförderung blieb erhalten, aber er veränderte sich. Die mit neuster Tontechnik ausgestatteten Tonstudios der Radios wurden vermehrt für Koproduktionen genutzt. Man lud auswärtige Bands ein und produzierte ihre Musik. So trägt das Radio bis heute zu einer vielfältigen Schweizer Musikszene bei.