Der Blockbuster unter den Podcasts – so kann man «Serial» bezeichnen. Vor vier Jahren startete die erste Staffel der amerikanischen Audioserie. Ein echter Highschool-Mordfall, von der Journalistin Sarah Koenig bis ins Detail neu aufgerollt und packend wie ein Krimi erzählt: Das ergab grosses Kino für die Ohren.
«Serial» stand im Herbst 2014 mehrere Monate lang an der Spitze der iTunes-Charts. Der Podcast wurde über 80 Millionen Mal heruntergeladen und zum Wegbereiter eines «neuen Genres des Audio-Storytellings».
«Ein Riesenerfolg», sagt der ehemalige Radiojournalist und freie Podcastmacher This Wachter. «‹Serial› übertrug das Prinzip Netflix konsequent auf Audio.» Seither sei der Begriff Podcast zu einer Etikette geworden für eine neue Art des Storytellings im Radio.
Ein Zugpferd der Podcast-Szene
Als reines Audioformat erreichte es die Massen: «Serial» wurde in den sozialen Medien diskutiert, in Late-Night-Shows parodiert und selbst von der Justiz wahrgenommen.
Auch unzählige Nachahmer hat «Serial» auf den Plan gerufen – und das Format aus der Nische in den Mainstream geholt. Über Audioserien wird längst genauso leidenschaftlich gesprochen, gewerweisst und gestritten wie über Netflix-Serien.
Doch noch immer sind es vor allem die englischsprachigen Podcasts, denen man lauscht und die einen fesseln. Um deutschsprachige Podcasts bleibt es vergleichsweise ruhig. Weshalb ist das so?
Filmische Kniffs im Radio angewendet
Dass die Impulse für neue Hörformate aus den USA kommen, sei kein Wunder: «Die Amerikaner haben eine Affinität zum Film und solche Podcasts sind sehr filmisch gemacht. Etwa durch den Einsatz der Musik, die Dramaturgie, viele Cliffhanger», sagt This Wachter. «Damit haben die Amerikaner weniger Berührungsängste als viele Radioleute in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk-Anstalten in Europa.»
Zudem habe es bereits Vorbilder gegeben. Etwa die Reportage-Reihe «This American Life» aus der «Serial» und später «S-Town» hervorging.
Im Vergleich zur englischen Podcast-Szene sind deutsche Formate häufig Zweitverwertungen bestehender Sendungen. Oder es sind sogenannte «Laberpodcasts», in denen vorwiegend gesprochen wird.
Weniger starke Sender, mehr freie Räume
Dafür gibt es auch strukturelle Gründe. In Europa entstehen Podcasts bisher vor allem im Umfeld und Auftrag der grossen Sendeanstalten – in der Schweiz machen sie laut einer Bakom-Studie etwa zwei Drittel des gesamten Audio-Angebots im Netz aus.
In den USA funktioniert das Mediensystem anders: Die Public Radios, deren Chicagoer Station WBEZ «Serial» produziert, sind spendenfinanziert und bestimmen den Markt weniger stark.
Für innovative Audio-Formate habe das auch Vorteile, sagt This Wachter: «Neben diesen Radios gibt es einfach noch mehr Luft, noch mehr Freiraum.» Diesen würden die Produzentinnen und Produzenten von «Serial», «S-Town», «Radiolab» oder «99% Invisible» voll ausgekostet.
Mit Werbeblöcken zum Ziel
Nebst kreativem Spielraum braucht es für aufwändige Produktionen aber auch genug Geld. Im englischsprachigen Raum sorgt dafür unter anderem die Werbung. Über Jingles und Werbeblöcke nutzen Firmen Podcasts als PR-Plattform und fördern ihre grossflächige Verbreitung.
Im kleineren deutschsprachigen Markt ist man sich solche Werbung in Audio-Formaten weniger gewohnt. Doch dass Podcasts sich ökonomisch lohnen können, hat man in den letzten Jahren auch hier entdeckt.
Ein Beispiel ist das Amazon-Hörbuchportal «Audible», das aktuell in Zusammenarbeit mit Radiojournalisten Dutzende eigener Podcasts produziert. Viele Tageszeitungen setzen auf Audioreihen – und Musikstreaming-Dienste werben damit: So übernahm Spotify 2016 etwa den Radiotalk «Fest & Flauschig» von Jan Böhmermann und Olli Schulz, der zuvor auf einem ARD-Sender lief.
Bei sich und mitten im Geschehen
Parallel dazu steigt die Nachfrage: Betrachtet man die Zahlen der Podcast-Abos, werden sie von Jahr zu Jahr grösser. «Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch in der Schweiz viel mehr Podcasts entstehen», meint This Wachter.
Diese Entwicklung sei auch eine Folge davon, wie wir heute Audio konsumieren. Smartphone und Kopfhörer statt UKW-Gerät lassen uns Geschichten intimer erleben – und genauer hinhören: «Für Radiostationen lohnt es sich, in gute Audioformate zu investieren, die Emotionen ansprechen und neue Klangwelten eröffnen.»
Auch wenn am Ende statt Blockbuster-Podcasts wie «Serial» eher Serien entstehen, die sich als Geheimtipp rumsprechen.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 21.09.18, 8.20 Uhr