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Das Künstliche überwiegt das Natürliche
Aus Kultur-Aktualität vom 18.12.2020. Bild: Getty Images
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Neue Studie Erstmals überwiegt das Künstliche das Natürliche

Es ist ein historisches Ereignis: Die Menge an Beton, Metall und Plastik wiegt jetzt mehr als die weltweite Biomasse. Mit welchen Konsequenzen?

1,1 Billionen Tonnen: So schwer ist alles, was wir Menschen produzieren. Dazu gehören Städte, Strassen und Autos – unser Abfall ist da noch nicht einmal mit eingerechnet.

Dieser tonnenschweren Masse steht die trockene Biomasse gegenüber. Zu ihr gehören Pflanzen, Tiere, Menschen und Pilze, abzüglich Wasser. Nur: Diese trockene Biomasse ist gerade mal eine Billion Tonnen schwer.

Historischer Punkt erreicht

Diese Annahmen beruhen auf der Definition israelischer Forschender. Ihnen zufolge hat die Masse aller menschengemachten Strukturen die weltweite Biomasse jetzt also überholt. Die Menschheit hat damit einen historischen Punkt erreicht. Würde der Abfall mitgerechnet werden, wäre das übrigens bereits 2013 der Fall gewesen.

«Dieser Vergleich soll zeigen, wie brutal der Mensch die Erdoberfläche für seine Zwecke nutzt», sagt Christian Körner, emeritierter Professor für Botanik an der Universität Basel. Er beschäftigt sich intensiv mit Biodiversität.

Jede Woche kommt mehr Masse dazu

Die eindrückliche Gegenüberstellung stammt aus einer neuen Studie, die das Team um den israelischen Wissenschaftler Ron Milo in der Fachzeitschrift «Nature» publiziert hat.

Noch eindrücklicher: Laut Studien-Autoren kommt jede Woche noch mehr künstlich geschaffene Masse hinzu. Sie wächst wöchentlich so viel wie die ganze Menschheit wiegt. Also etwa 62 Kilo mal 7,8 Milliarden.

Bewusste Provokation?

Christian Körner kennt die Studie und findet den Vergleich der Forschungsgruppe ziemlich steil. «Dass die Autoren die Menge an allem, was der Mensch produziert, dem gegenüberstellen, was in der Natur an biologischer Substanz vorhanden ist, ist sicher eine gewollte Provokation.»

Wieso? «Weil Beton, Kies oder Asphalt einfach transformierter Stein ist. Pflanzen sind aber lebendig. Sie sind in der Essenz also etwas völlig anderes.»

Studie als Weckruf

Das Vorgehen könne man durchaus kritisieren. Die Forschenden würden damit nämlich Äpfel und Birnen beziehungsweise sogar Äpfel mit Handys vergleichen. Und doch sei die Studie ein Weckruf, so der Biodiversitäts-Experte.

Ein Mann steht auf einem Felsen und schaut auf die Stadt.
Legende: Zersiedelte Naturräume: Laut Biodiversitäts-Experte Körner das grösste Problem für unsere Umwelt. Getty Images / MR.Cole_Photographer

Die Studie verweist nämlich auf ein grosses Problem: Kies, Asphalt und Beton machen den grössten Teil der menschengemachten Masse aus. Das alleine sei aber nicht das Problem, so Körner.

Viel problematischer sei das, was der Mensch mit den Steinen mache. Er zersiedle Naturräume und zerstöre den fruchtbaren Boden. «Wenn Sie irgendwo grünes Land in einen Parkplatz verwandeln, dann haben Sie an der Stelle etwas Jahrtausendealtes und Kostbares, aus dem Lebensmittel erzeugt werden könnten, vernichtet.»

Der Mensch hat die Biomasse halbiert

Konkret heisst das: Seit der Mensch nicht mehr nomadisch lebt, also seit 12'000 Jahren, hat der Mensch mit seiner Sesshaftigkeit die Biomasse halbiert. «Der Verlust an Lebensraum ist das eigentliche Problem. Wir konsumieren schlicht unser Land.», urteilt Körner.

Die Konsequenz der künstlich erschaffenen Masse der Menschen? Weniger Biodiversität und weniger Land für die Nahrungsmittelproduktion. Eine grosse Last, die wir der nächsten Generation damit aufbürden.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktualität, 15.12.2020, 7:50 Uhr

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