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Umgang mit «bösen» Emotionen «Wut ist ein wichtiger Motor für Veränderung»

Die Psychiaterin Heidi Kastner ist eine Freundin der Wut: Sie hat der verpönten Emotion ein ganzes Buch gewidmet.

Die Wut sei wichtig, um Grenzen zu ziehen und ein gutes Leben zu führen, schreibt sie. Im Interview erklärt Kastner, warum sie sich keine wutfreie Gesellschaft herbeiwünscht.

Heidi Kastner

Psychiaterin

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Die österreichische Psychiaterin Heidi Kastner leitet die Klinik für forensische Psychiatrie am Kepler Universitätsklinikum in Linz. Ausserdem arbeitetet sie als Gerichtsgutachterin. Unter anderem hat sie Josef Fritzl begutachtet, der seine Tochter jahrelang unterirdisch eingesperrt hielt. Ihr Buch «Wut. Plädoyer für ein verpöntes Gefühl» erschien 2014 im Verlag Kremayr und Scheriau.

SRF: Was ist unser Problem mit der Wut?

Heidi Kastner: Dass wir sie nicht mögen. Wir reden uns ein, dass man als anständiger Mensch nicht wütend ist, nicht wütend sein darf.

Das macht die Sache schwierig. Denn die Wut ist eine Basisemotion, die wir brauchen.

Inwiefern brauchen wir die Wut?

Wir haben diese Emotion in den ganzen Jahrtausenden der Menschheitsentwicklung nicht verloren.

Wut zeigt uns an, dass jemand unsere Grenzen überschreitet.

Das heisst, Wut hat eine Funktion. Sie vermittelt uns Erkenntnis über uns selbst.

Wut zeigt uns an, dass jemand unsere Grenzen überschreitet. Wenn wir uns ausschliesslich darum bemühen, die Wut nicht zu spüren oder zu zeigen, dann berauben wir uns der Möglichkeit, dank dieser Erkenntnis unser Leben zu ändern.

Also lügt jeder, der sagt, er sei nicht wütend?

Jeder, der das sagt, lügt primär sich selbst an. Und natürlich auch die anderen. Man zeigt sich nicht offen, wenn man seine Wut verschleiert.

Das ist ein Problem für die zwischenmenschliche Kommunikation. Wer seine Emotionen nicht vermittelt, kann nicht korrekt kommunizieren.

In Ihrer Arbeit als psychiatrische Gutachterin haben Sie mit Schwerverbrechern zu tun. Inwiefern spielt bei solchen Menschen die Wut eine Rolle?

Ich erlebe in meinem Beruf immer wieder Menschen, die ihre Wut eben nicht als Information genutzt haben – manchmal jahrzehntelang. Die Wut staut sich an, in dramatischen Fällen schlägt sie in Aggression um.

Wut und Aggression sind nicht dasselbe.

Zurück bleibt nach so einem Ausbruch viel verbrannte Erde. Im schlimmsten Fall kommt es zu Toten. Wut und Aggression sind aber nicht dasselbe. Wut muss nicht zu Aggressionen führen.

Wie kriegen wir unsere Wut in den Griff, bevor wir aggressiv werden?

Man kriegt die Wut langfristig nur in den Griff, indem man sich ihr stellt, sie wahrnimmt und sie als das nutzt, was sie auch sein soll: nämlich als Motor für Veränderung, als Motor für Selbstreflexion und für authentische Interaktion.

Wir dürfen wütend sein, denn kein Mensch empfindet falsch. Eine Emotion ist immer authentisch.

Warum zeigen viele Menschen ihre Wut nicht offen, wenn sie doch etwas ganz Normales ist?

Ich glaube, das liegt am gesellschaftlichen Druck. Es ist eine generelle Tendenz heutzutage, das Leben rundum abzusichern und zu behübschen. Alles, was nicht ins Bild passt, wird weggeschoben.

Jede Oberfläche zu glätten, das ist auch Teil der «Political Correctness». Die kann man durchaus kritisieren, finde ich, denn bestimmte Themen kann man so gar nicht mehr ansprechen.

In diesen Rahmen fällt auch unser Nicht-Umgang mit negativen Emotionen, vor allem mit der Wut. Natürlich ist es unangenehm, wütend zu sein. Aber es wäre ja lächerlich zu glauben, dass man immer nur fröhlich, frisch und frei durchs Leben marschieren kann.

Das Gespräch führte Hanna Wick.

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