Kein Drogensüchtiger weit und breit, nur Medienleute aus der ganzen Welt und ein paar Schaulustige trafen sich um Mitternacht am Ufer der Limmat. Die Räumung des Letten war eigentlich keine Räumung, denn die Drogenkranken hatten sich längst verzogen, als die Stadt Zürich der offenen Drogenszene am 14. Februar 1995 ein Ende setzte.
Endlich gelang den Behörden, woran sie drei Jahre zuvor gescheitert waren. Ungeregelt lief die Räumung des Platzspitz-Areals im Februar 1992 ab, die Süchtigen verteilten sich ins Quartier. Dann liessen sie sich beim stillgelegten Bahnhof Letten weiter flussabwärts nieder. Auf den Geleisen bei der Kornhausbrücke sollte alles noch schlimmer werden als im «Needle Park.»
Fotografien würden nicht das ganze Elend von damals abbilden, sagt Rolf Vieli, der damals Drogenkranke betreute und später als «Mr. Langstrasse» das Quartier formte. «Der Gestank hier unten war so extrem, dass es auch zwei Jahre später noch danach roch. Abfall, Spritzen, Pisse, Kacke – das hatte sich alles so tief eingelagert, dass wir diesen Geschmack noch lange in der Nase hatten», erinnert er sich 25 Jahre danach im «Regionaljournal.»
Der Gestank hier unten war so extrem, dass es auch zwei Jahre später noch danach roch. Abfall, Spritzen, Pisse, Kacke - das alles hatte sich tief eingelagert.
Die Szene belastete das Quartier aber auch wegen der Gewalt, die immer weiter eskalierte. Wiederholt kam es zu Schiessereien zwischen den Dealern, die zu Hunderten aus Albanien, der Türkei oder dem Libanon angereist kamen. Drogenelend und Dealergewalt verunsicherten die Bevölkerung. «Ich habe Angst, dass ich einmal in eine Schiesserei gerate», sagte eine Anwohnerin im September 1994 in der Tagesschau.
Am 14. Februar 1995 riegelte die Polizei den Letten mit Stacheldraht ab. Dieses Mal gelang die Räumung. Zum einen war die Polizei besser vorbereitet, es gab zum Beispiel neue Gefängnisse und sie konnte gezielter gegen mutmassliche Drogendealer vorgehen. Zum anderen konnten Süchtige einfacher in ihre Heimatgemeinden zurückgeschickt werden.
Wir mussten dafür sorgen, dass die Leute nicht mehr nach Zürich kommen mussten, um Hilfe und Therapien zu erhalten.
Das sei entscheidend gewesen, sagt Psychiater Ambros Uchtenhagen, denn 80 Prozent der Leute in der offenen Szene seien Auswärtige gewesen. «Wir mussten dafür sorgen, dass die Leute nicht mehr nach Zürich kommen mussten, um Hilfe und Therapien zu erhalten», sagt Uchtenhagen im «Regionaljournal». Die Gemeinden und viele Kantone machten mit und unterstützten die Stadt Zürich so beim Umsetzen ihrer Drogenpolitik.
Diese Zürcher Drogenpolitik basierte auf dem Vier-Säulen-Prinzip (Prävention, Therapie, Überlebenshilfe und Repression). Das Modell machte Schule, in der Schweiz und international. Zu dem pragmatischen Ansatz gehört auch, dass Schwerstabhängigen Heroin abgegeben wird. Statt auf der Gasse holen sich heute etwa 1200 Menschen täglich ihren Rausch in einem der speziell dafür eingerichteten Zürcher «Fixerstübli.»
Und der Letten? Das Areal ist zum beliebten Treffpunkt geworden, vor allem im Sommer kommen hunderte Zürcherinnen und Zürcher zum Baden, Apéro trinken oder Beach-Volleyball spielen hierher. An die offene Drogenszene, an das geballte Elend von damals, erinnert nichts.
Regionaljournal Zürich Schaffhausen, 10.02.20, 17:30 Uhr; meim;kueh;fumi