Radio SRF: Daniel Knecht, als die Meldung vom grossen Stellenabbau bei GE reinkam, haben alle reagiert: Regierung, Parteien, Gewerkschaften. Aber von der Aargauischen Industrie- und Handelskammer mit 1600 Mitgliedsfirmen kam kein Pieps. Ist Ihnen der Stellenabbau egal?
Daniel Knecht: Das ist selbstverständlich nicht so. Wir waren äusserst betroffen, von der Meldung. Wir haben gewusst von den Abklärungen und Überlegungen bei Alstom bzw. GE. Das war ja schon früher bei Alstom ein Thema, es ist uns also keineswegs gleich. Wir hoffen, dass man die Situation möglichst gut bereinigen kann, aber eine Überraschung war es nicht. Wir sind generell überzeugt, dass in einer freien Wirtschaft immer ein Gehen und Kommen herrscht, ein permanenter Prozess der Erneuerung. Am Besten fahren wir hier, wenn man dem Markt freien Lauf lässt.
Urs Hofmann am Mittwoch sollen Sie Besuch erhalten haben von Paul McElhinney, einem hohen GE-Manager und der soll Ihnen gesagt haben, was nun kommt. Ich weiss selber, dass es schwer ist bei Ihnen einen Termin zu bekommen. Kann so ein GE-Manager nun einfach fünf Minuten vorher anrufen und dann in Ihr Büro spazieren, wie ist das abgelaufen?
Urs Hofmann: Ich glaube bei so einer Firma und wenn es um so wichtige Fragen geht, dann wäre das sogar möglich. Hier war es jetzt aber so, dass schon ein paar Tage vorher eine Anfrage kam für den Termin. Was genau ansteht, wussten wir nicht, die Dimension des Stellenabbaus erfuhren wir dann erst am Abend vorher. Wir waren ja im Kontakt mit GE in den letzten anderthalb Jahren. Zu Beginn sah es sogar noch schlimmer aus für die Standorte im Aargau und Baden. Wir konnten dann aber immerhin zwei globale Headquarters hierhin bringen. Wir wussten von gewissen Restrukturierungen, aber diese Dimension, das war für die Aargauer Regierung eine grosse Überraschung.
Daniel Knecht war also nicht überrascht, Sie schon Urs Hofmann, Sie haben das also wirklich nicht erwartet?
Urs Hofmann: Von der Dimension waren wir sehr überrascht. 1300 Arbeitsplätze, das ist viel, fast ein Viertel. Überrascht vor allem auch darum, weil in all den Gesprächen mit GE immer wieder auf die Qualitäten der Standorte Schweiz und Baden hingewiesen wurde. Und wir konnten aufzeigen, was hier Gutes geleistet wird, wie hoch die Qualität der Mitarbeitenden ist, das wurde auch von GE anerkannt. Aufgrund dieser Aussagen musste man nicht von einem so starken Arbeitsplatzabbau ausgehen. Wir wollen das auch nicht einfach so akzeptieren, der Regierungsrat hat eine Taskforce eingesetzt, in der wir die Detailangaben zum Stellenabbau genau anschauen und versuchen aufzuzeigen, dass ein zu grosser Abbau vielleicht auch ein Schuss ins Knie ist für GE, wenn man die Kapazitäten zu schnell runterfährt. Kurzarbeit müsste dann auch noch ein mögliches Thema sein. Wir wollen aufzeigen, dass GE am Standort Baden sehr gut überlegen muss, auch mit Renditeüberlegungen und nicht nur aus industrieller Logik. Das ist die Arbeit, die jetzt vor uns steht.
General Electric ist ja ein Riesenkonzern, beschäftigt weltweit 300‘000 Leute. Der Hauptsitz ist in den USA, dort entwickeln Leute Strategien und dann heisst es halt im Aargau müsse man diese und jene Massnahmen treffen. Wie fühlt man sich da zum Beispiel als Regierungsrat, Sie haben ja eine gewisse Macht im Aargau, aber sind Sie gegenüber globalen Konzernen einfach machtlos?
Urs Hofmann: Letztlich ist das wohl so, wenn es einfach durchgezogen wird vom Konzern, dann können wir nicht einfach ein Veto einlegen, wie man das zum Beispiel in Frankreich teilweise möglich ist. Wir geben uns trotzdem nicht einfach ohne weiteres geschlagen. Wir werden um diese Arbeitsplätze kämpfen, dass es am Schluss vielleicht nicht gerade 1300 sind. Es geht auch darum, dass die Aussenwirkung der Aargauer Wirtschaft langfristig positiv gehalten werden kann.
Daniel Knecht: Ich möchte fairnesshalber feststellen, wir waren schon auch überrascht, dass der Stellenabbau so gross ist, das ist wirklich grob. Wir waren einfach im Bild, dass die Situation schwierig ist. Der Kraftwerksmarkt und das Gasturbinengeschäft Probleme hat, vor allem in Europa läuft hier quasi nichts. Das ist ja auch in der Schweiz so. Und natürlich, wenn niemand ein Kraftwerk oder eine Turbine bestellt, wenn es keine Kunden auch für ein Spitzenprodukt gibt, dann muss man davon ausgehen, dass es früher oder später neue Lösungen geben wird. Wir wissen von der GE, dass sie die Qualitäten der Alstom-Mitarbeiter sehr hoch einschätzen, dass sie auch versuchen werden dieses Knowhow innerhalb des GE-Konzerns zu verlagern. Das geht in der Schweiz wegen dem liberalen Arbeitsmarkt ja relativ gut, dass man die hochqualifizierten Mitarbeiter in andere Bereiche verschieben kann. Mir persönlich ist übrigens auch noch aufgefallen, dass etwas passieren könnte, als in den Zeitungen Stelleninserate von Siemens waren, die Ingenieure für Gasturbinen suchten. Hier sah man, dass man offenbar das Knowhow der Alstom Leute abfischen wollte, dass etwas im Gang ist.
Urs Hofmann: Herr Knecht hat völlig recht. Im Bereich der Gasturbinen ist der Markt in einer schwierigen Situation. Aber GE ist ein Riesenkonzern, der noch viel anderes macht. Unser Ziel muss es deshalb sein, GE aufzuzeigen, dass in diesem Energie- und Werkplatzcluster Baden auch noch andere Chancen liegen. Wir hatten mit dem Chef des GE-Forschungszentrums aus München schon vor ein paar Monaten eine Sitzung im Paul Scherrer Institut in Würenlingen. Wenn es gelingt aufzuzeigen, dass GE allenfalls auch andere Sparten hier aufbauen könnte, weil das ein Top-Standort ist, dann ist das die Zukunft. Nur dem nachtrauern, was heute im Marktumfeld schwierig ist, wäre der falsche Ansatz. Das ist unter anderem auch der Sinn des nun laufenden Konsultationsverfahrens. Das geht nun ein paar Monate und erst danach darf GE Entlassungen tätigen.
Sie haben jetzt beide gesagt, der Markt habe seine Logik, die Maschinen lassen sich kaum mehr verkaufen, also ist ein gewisser Stellenabbau unumgänglich?
Urs Hofmann: Im Bereich der Turbinen war das absehbar, das wäre auch ohne GE nur bei Alstom so gewesen. Aber unsere Erwartungen sind, dass GE nun nicht einfach Stellen abbaut, sondern schaut, was man am Standort Aargau sonst machen könnte, sei es im Produktions- oder auch im Forschungsbereich. Und hier sehe ich doch auch Chancen für den Standort.
Parteien und Gewerkschaften haben ja sehr scharf reagiert auf den Stellenabbau. Der Gewerkschaftsbund zeigte sich erschüttert und sagte, das sei nur eine Folge der Gewinnmaximierung. Überdies gab es Vorwürfe: Die Politik hat versagt, nun müsse man Industriepolitik machen. Was ist das überhaupt aus Ihrer Sicht?
Daniel Knecht: Da gibt es eine einfache Antwort. Der Blick nach Frankreich zeigt, was die dortige dezidierte Industriepolitik bringt. Es gibt dort noch ein Drittel der Industriearbeitsplätze, die wir in der Schweiz haben. Es gibt in diesem Bereich halt keine Kommandowirtschaft, wo die Politik auf den Boden stampfen kann und sagen so ist es. Am Schluss bleibt uns nichts anderes übrig, als unsere Unternehmen
arbeiten zu lassen. Die Firmen müssen entscheiden, wo braucht es welche Produkte. Nahe am Markt entscheiden, welche Innovation es braucht. Und dann bilden sich automatisch auch die Arbeitsplätze. Wir glauben nicht, dass der Staat klüger ist als der Markt.
Was glauben sie als SP-Politiker und früherer Gewerkschafter Urs Hofmann. Ihre Partei fordert Sie ja zum Handeln auf. Was ist gute Industriepolitik?
Urs Hofmann: Ja wir machen es ja bereits seit fünf Jahren im Kanton Aargau. Wir haben damals die Hightech-Initiative lanciert im Aargau, wo es genau darum geht, dass man nicht alleine den Markt spielen lässt. Wir möchten Kräfte bündeln und vor allem den Wissenstransfer zwischen den KMU und der Wissenschaft, z.B. den Unis oder dem PSI, fördern. Hier binden wir auch die grosse Industrie ein. Der Innovationspark beim PSI ist kein Zufall, das ist weil die Regierung etwas gemacht hat in dem Bereich. Diese Hightech-Strategie und der Innovationspark, das ist genau die Basis für das, was man als vernünftige Industriepolitik bezeichnen kann.
Wie sehen Sie das bei der AIHK, Herr Knecht? Die Industriepolitik, die Herr Hofmann hier skizziert, was halten Sie davon?
Das ist sicher nicht gerade des Teufels. Wir sehen ja auch, was wir hier in der Schweiz und dem Aargau erreicht haben. Wir haben es trotz Frankenstärke und Wirtschaftsproblemen nicht schlecht gemacht. Und wichtig ist: Es gibt immer Arbeitsplätze, die halt untergehen, aber es tauchen auch immer wieder neue Chancen auf. Diese Arbeitsplätze können an einem besseren Ort wieder entstehen.
Zum Schluss: Ein Jahr nach der Frankenaufwertung, jetzt der Stellenabbau bei GE. Müssen wir verzweifelt sein?
Urs Hofmann: Verzweiflung ist ja nie richtig, aber dennoch haben wir eine schwierige Situation für die Industrie in der Schweiz. Ich meine auch der Bund muss jetzt schauen, was kann man machen für den Industriestandort Schweiz, zusammen mit den Sozialpartnern. Das habe ich auch Bundesrat Schneider-Ammann so gesagt. Einfach nur zu sagen, es kommt schon gut, wäre sicher falsch.
(Das Gespräch führte Stefan Ulrich, schriftliche Umsetzung: Stefan Brand)