Als vor vier Jahren ein Zusammenschluss von vielen Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisationen, Gewerkschaften und Umweltverbänden die Konzernverantwortungs-Initiative einreichten, war die Schweiz noch eine andere: Die Wirtschaft brummte, es herrschte nahezu Vollbeschäftigung. Vier Jahre später steckt die Schweiz mitten in der zweiten Corona-Welle, Hunderttausende sind in Kurzarbeit. Eine grosse Entlassungswelle wird befürchtet.
Allzweckwaffe: Schwächung der Wirtschaft
Schlechter hätte der Abstimmungszeitpunkt nicht sein können für die Initianten. Menschenrechte und Umweltstandards sind der Schweizer Bevölkerung sehr wichtig, das zeigt das Volksmehr von knapp 51 Prozent. Doch viele dürften sich gesagt haben: keine allzu strenge Regeln für Unternehmen in wirtschaftlich unsicheren Zeiten.
Einmal mehr scheint es der bürgerlichen Mehrheit in diesem Land damit gelungen zu sein, eine Initiative mit dem ewig gleichen Argument zu bodigen, das Anliegen würde der Wirtschaft schaden.
Hochprofessionelle Initianten
Dabei haben die Initianten praktisch alles richtig gemacht. Sie hatten ein wichtiges und hochemotionales Anliegen, das bis sehr weit ins bürgerliche Lager auf sehr viel Sympathie stiess. Noch nie wurde eine so professionelle und so grosse Kampagne durch Nichtregierungsorganisationen (NGO) geführt. Sie hatten eine Dauerpräsenz in den Medien und setzten die Themen. Und die Gegner schienen sehr lange in der Defensive zu verharren.
Erst in den letzten Wochen vor dem Urnengang gelang es der Gegnerschaft, Zweifel zu säen, Unklarheiten im Initiativtext zu thematisieren. Und es gelang ihnen zunehmend, den indirekten Gegenvorschlag als «vernünftige» Alternative schmackhaft zu machen. Der Gegenvorschlag träte sofort in Kraft, über die Umsetzung der Initiative würde jahrelang gestritten, argumentierten sie.
Wie viel Macht haben die NGO?
Zu Beginn der Kampagne vor fünf Jahren hatten die Initianten sehr grosse Sympathien. Da kämpften einige NGO für eine gute Sache gegen die scheinbar übermächtigen Konzerne. Doch im Verlaufe dieses Abstimmungskampfs war für die Stimmbevölkerung zunehmend nicht mehr so klar, wer David und wer Goliath ist.
Es war augenfällig, dass die Initianten sehr viel mehr Plakate schalteten, insgesamt stärker präsent waren als die Gegner. Die Initianten konnten zwar auf sehr viel Freiwilligenarbeit zählen – aber es war offensichtlich, dass ihnen auch sehr grosse finanzielle Mittel zur Verfügung standen. Vielleicht sogar mehr als den Wirtschaftsverbänden.
Wenn in der Schlussphase plötzlich Plakate quer über Innenhöfe gespannt werden und die Briefkästen wöchentlich mit Abstimmungsmaterial geflutet werden, dann kann das auch kontraproduktiv sein. Die Kampagne startete sympathisch, am Schluss wirkte sie überdreht.
Initiativen haben schweren Stand
Eine Annahme wäre nüchtern betrachtet eine absolute Sensation gewesen. Denn es gab in den letzten 150 Jahren noch nie eine Initiative ohne konservative Inhalte, die vom Stimmvolk angenommen wurde. Initiativen von linker Seite hatten nur dann eine Chance, wenn es zum Beispiel um Landschaftsschutz ging. Ein Anliegen, das auch in konservativen Kreisen Unterstützung geniesst.
Die Stimmbevölkerung ist in den letzten Jahren generell etwas müde geworden, wenn es um Volksinitiativen geht: Die Masseneinwanderungsinitiative 2014 war die letzte erfolgreiche. Seither wurden alle abgelehnt.