In der Schweiz leben viele Menschen mit Beeinträchtigung weitestgehend selbstständig, gehen einer Arbeit nach, sind politisch interessiert. So auch Karin Rösch und Bruno Fankhauser.
Doch bei Abstimmungen, da haben sie Mühe. Das Abstimmungsmaterial ist zu komplex, als dass sie sich selbstständig informieren könnten. Sie sind auf die Hilfe ihrer Angehörigen oder Drittpersonen angewiesen: «Es ist einfach sehr schwierig, das zu verstehen. Wie will das jemand verstehen? Besonders mit diesen Paragrafen.»
Grosse Hürden – grosse Bedenken
Es bestehen erhebliche Hürden für Menschen mit Beeinträchtigung, sich in einer für sie verständlichen Form über Abstimmungen zu informieren. Das kritisiert auch die UNO Behindertenrechtskonvention in ihrem jüngsten Staatenbericht zur Schweiz, die seit 2014 Vertragsstaat ist:
«Das Komitee hat mit Bedenken festgestellt, dass Hürden für Menschen mit Beeinträchtigung bestehen, an öffentliche Informationen und Kommunikation zu gelangen, die für sie verständlich sind.»
Am Rande der Gesellschaft, statt mittendrin
Einer der Grundpfeiler der Konvention, nämlich die Inklusion und Gleichstellung von Menschen mit Beeinträchtigung in der Gesellschaft, würde auch bedeuten, dass sich alle in einer für sie verständlichen Form über das politische Geschehen informieren könnten. Material dazu fehle jedoch in der Schweiz weitestgehend.
Das verhindere eine gleichberechtige Teilhabe an der Politik und drücke sich in der noch immer weit verbreiteten Haltung aus, dass Menschen mit Beeinträchtigung eine von der «Normalgesellschaft» separierte Gruppe seien.
Es ist ein «auf die Seite geschoben werden», und nicht ein mittendrin sein. Wir sind auch eine Gesellschaft, die auch viel leistet. Auch wenn wir eine Beeinträchtigung haben.
Das sieht auch Karin Rösch so: «Es ist ein ‹auf die Seite geschoben werden›, und nicht ein mittendrin sein. Wir sind auch eine Gesellschaft, die auch viel leistet. Auch wenn wir eine Beeinträchtigung haben.
Einfache Sprache – ungenaue Informationen?
Verständliche Information, das wäre mit dem Übersetzen von Dokumenten in eine sogenannt «Leichte Sprache» möglich. Auch das Abstimmungsbüchlein könnte so Menschen mit Beeinträchtigung zugänglich gemacht werden.
Die Bundeskanzlei äussert sich in einer Stellungnahme per Mail kritisch dazu: «Im Vorfeld von Volksabstimmungen würden stark vereinfachende, ungenaue amtliche Äusserungen rasch als unzulässige Beeinflussung durch die Behörden gewertet.»
Daher sei eine amtliche Übertragung solcher Texte in Leichte Sprache mit erheblichen Schwierigkeiten und Risiken verbunden, sagt die Bundeskanzlei.
Stark vereinfachende und ungenaue amtliche Äusserungen werden durch die Behörde rasch als unzulässige Beeinflussung gewertet.
Dass das Abstimmungsbüchlein ungenau werden würde, wenn man es in Leichte Sprache übersetzt, bestreitet Bettina Nagler, die mit ihrer Agentur Capito genau solche Übersetzungen für Behörden und Unternehmen macht. «Man kann jeden Text in Leichte Sprache übersetzen, da gibt es höchstens Grenzen vom Umfang her, dass ein Text in Leichter Sprache nicht zu lang sein darf.»
Man kann jeden Text in Leichte Sprache übersetzen, da gibt es höchstens Grenzen vom Umfang her.
Wieso also gibt es nicht mehr Dokumente, die in Leichter Sprache bereitgestellt werden?
Einerseits besteht die Angst, dadurch den Inhalt des Geschriebenen zu verfälschen, wie dies auch die Bundeskanzlei schreibt. Andererseits herrscht aber auch ein mangelndes Bewusstsein dafür, dass Informationen, wie sie im Abstimmungsbüchlein stehen, für gewisse Menschen unverständlich sind.
Vorlagen werden so einfach wie möglich und so kompliziert wie nötig erklärt.
Bei den Abstimmungserläuterungen bemühe sich der Bund stets um eine möglichst einfache und verständliche Sprache für alle Bürgerinnen und Bürger, so die Bundeskanzlei. Doch diese Erläuterungen sind für viele Menschen in der Schweiz nicht einfach genug.