Im Abstimmungskampf zur Ehe für alle bringen beide Seiten unterschiedliche Studien ins Spiel. Im Fokus steht dabei das Kindeswohl. Das war auch in der gestrigen «Arena» zu beobachten. Geht es Kindern in Regenbogenfamilien gut oder nicht? Spielt das Geschlecht der Eltern eine Rolle? Erziehungswissenschafterin Margrit Stamm erklärt, was die Forschung dazu weiss.
SRF News: Wo steht die Forschung, wenn es um die Entwicklung von Kindern mit gleichgeschlechtlichen Eltern geht? Welche Erkenntnisse gibt es?
Margrit Stamm: Es gibt erstaunlich viele Erkenntnisse. Und zwar schon seit den 80er-Jahren. Wenn man sich fragt, wie gut diese Forschungserkenntnisse sind, muss man gewisse Einschränkungen machen. Es gibt relativ viele Studien, die sehr einfach gestrickt sind und zum Ziel haben, etwas nachzuweisen. Es gibt keine Längsschnittstudien; also Studien, die mehrmals hintereinander durchgeführt werden, einen Vergleich der Ergebnisse ermöglichen und so zum Beispiel Kinder über eine Entwicklungsspanne untersuchen. Auch wenn es viele Erkenntnisse gibt, ist es wichtig, einen kritischen Blick darauf zu werfen.
Sehen Sie einen wissenschaftlichen Konsens?
Ja, wenn man nicht nur einzelne Untersuchungen anschaut, sondern eine Gesamtschau zu Studien in den USA, den Niederlanden, Deutschland, Italien und teils auch in der Schweiz vornimmt. Es lässt sich eine relativ genaue Aussage treffen: Kinder aus gleichgeschlechtlichen Beziehungen entwickeln sich ungefähr gleich gut – oder laut gewissen Studien sogar besser – wie Kinder aus heterosexuellen Familien. Und dies sowohl in emotionaler als auch in schulischer und beruflicher Hinsicht. Wenn man all diese Studien vergleichend anschaut, ist klar: Die Beziehungsqualität in einer Familie, das heisst, in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung, ist wichtiger als die sexuelle Orientierung.
Die Beziehungsqualität in einer Familie ist wichtiger als die sexuelle Orientierung.
Kann man also sagen, dass Kinder aus Regenbogenfamilien die gleiche Entwicklung durchmachen wie Kinder mit heterosexuellen Eltern?
Wenn man sich nicht auf einzelne Studien bezieht, sondern die Gesamtheit aller Studien anschaut, dann kann man sagen: Ja, wenn Kinder betreut und behütet aufwachsen und Fürsorge erleben, gibt es eigentlich keine grossen Unterschiede.
Es gibt eine Studie, die mir aufgefallen ist. Und da heisst es, dass Kinder aus Familien mit gleichgeschlechtlichen Eltern häufiger, ja sogar doppelt so häufig zum Psychologen gehen müssen. Blenden Sie dies als Fachfrau einfach aus?
Ich kenne diese Studie. Es gibt sogar verschiedene solche Studien. Allerdings spielen diese in der breiten wissenschaftlichen Gemeinde keine grosse Rolle. In meiner Wahrnehmung sind diese Studien wie eine Blase im grossen wissenschaftlichen Kontext. Verschiedene Organisationen, etwa die Kanadische Psychologische Vereinigung, distanzieren sich von solchen Studien, weil sie ideologisch motiviert sind. Das heisst: Sie haben ein bestimmtes Erkenntnisinteresse und wollen dies auch nachweisen. Als Forscherin muss ich aber ehrlich sagen: In vielen Bereichen des Wissenschaftlerlebens entsteht relativ schnell ein gewisses Erkenntnisinteresse, das man mit einer geeigneten Fragestellung so beantwortet, dass es am Ende stimmt.
Die Problematik Mobbing in der Schule existiert. Sie ist eine Herausforderung für die Familie, aber vor allem auch für die Institutionen rund um das Kind.
Schauen wir das Thema aus Kinderaugen an: Es ist vorstellbar, dass ein Kind mit zwei Müttern oder Vätern im Kindergarten oder in der Schule gemobbt wird. Sehen Sie da eine Gefahr?
Ja. Wenn man sich wiederum die Studienlage anschaut, stellt man fest, dass hier wahrscheinlich eine Achillesferse vorhanden ist. Ich schätze, dass etwa 50 Prozent der Studien dieses Problem benennen. Es ist allerdings entscheidend, wo Kinder aufwachsen, welche Unterstützung sie in der Schule, der Kita oder dem Umfeld erfahren und welche Bewältigungsstrategien sie haben. Klar ist: Diese Problematik existiert. Das ist eine Herausforderung für die Familie, aber vor allem auch für die Institutionen rund um das Kind.
Das Gespräch führte Sandro Brotz.