Deutlicher als erwartet haben sich Volk und Stände für die Weiterführung des bilateralen Weges mit der EU eingesetzt. Knapp 62 Prozent der Stimmenden lehnten die sogenannte Begrenzungsinitiative der SVP ab, die die Personenfreizügigkeit beenden wollte. Doch mit dem Rahmenabkommen ist der nächste Streit mit Brüssel schon programmiert. Astrid Epiney, Rechtsprofessorin an der Universität Freiburg, sieht den Ball beim Bundesrat.
SRF News: Eine grosse Mehrheit möchte nicht vom bilateralen Weg abweichen. Was bedeutet das für das Verhältnis der Schweiz zur EU?
Astrid Epiney: Der bilaterale Weg findet offenbar breite Zustimmung. Die Schweiz hat nun insgesamt viermal über die Personenfreizügigkeit abgestimmt, und es ist jedes Mal eine grosse Mehrheit zustande gekommen.
Das nächste strittige Europadossier liegt mit dem Rahmenabkommen mit der EU schon auf dem Tisch. Es werden von verschiedenen Seiten Nachverhandlungen gefordert. Wie stehen die Chancen dazu?
Dass man noch einmal an jedem Satz herumfeilt, dazu scheint der Wille in Brüssel nicht sehr ausgeprägt zu sein. Das wurde auch immer wieder betont. Hingegen stehen die Chancen sehr gut, dass man mit Brüssel ins Gespräch kommt und nochmals einzelne Teile des Abkommens erörtert.
Bei welchen Teilen sind Justierungsmöglichkeiten vorhanden?
Es geht insbesondere um drei Bereiche, zu denen der Bundesrat letzten Sommer schon gesagt hatte, er würde hier noch Klärungen anstreben. Etwa die Frage der staatlichen Beihilfen. Dabei geht es insbesondere um eine Reihe kantonaler Regelungen, etwa die Unterstützungen für die Kantonalbanken.
Viele Interessen der Schweiz kommen im Vertrag zum Ausdruck.
Dann geht es um die Frage der sogenannten Unionsbürgerrichtlinie, ein neuer Rechtsakt der EU, der im Abkommensentwurf gar nicht erwähnt wird. Und es geht um die flankierenden Massnahmen, die im Abkommen zwar erwähnt sind, bei denen man das eine oder andere aber noch klären könnte.
Sehen Sie Prioritäten bei diesen drei Aspekten aus Sicht der Schweiz?
Aus politischer Sicht dürfte die Frage des Lohnschutzes sicherlich eine grosse Rolle spielen, denn solange Gewerkschaften und SVP gegen das Rahmenabkommen sind, wird es sehr schwierig. Aber wenn man sich die Bestimmungen des Vertrages nüchtern anschaut, dann ist er eben gar nicht so schlecht. Viele Interessen der Schweiz kommen im Vertrag zum Ausdruck. Es ist einfach eine institutionelle Frage, und das ist schwer zu vermitteln.
Der Ball ist jetzt beim Bundesrat. Er müsste sagen, wie die Dinge weitergehen.
Wenn der Vertrag gar nicht so schlecht ist, sollte man dann nicht besser sagen: Jetzt nehmen wir das Rahmenabkommen so an, wie es ist?
Meines Erachtens wäre das durchaus vertretbar. Man darf nicht vergessen, dass der Vertrag auch im Interesse der Schweiz ist, in vielerlei Hinsicht. Er würde Rechtssicherheit bringen, zum Beispiel bei der Frage der Weiterentwicklung der Bilateralen. Und es ist für den kleineren Partner immer ein Vorteil, eine rechtliche Streitbeilegung zu haben statt eine politische. Der Ball ist jetzt beim Bundesrat. Er müsste sagen, wie die Dinge weitergehen.
Könnte der Streit um den Rahmenvertrag das Verhältnis der Schweiz zur EU derart eintrüben, dass sogar ein Beziehungsaus drohen könnte?
Beide Partner werden Mittel und Wege finden, in irgendeiner Form eine Weiterführung der Bilateralen und der guten Beziehungen zu verwirklichen. Die Frage ist einfach, ob wir das auf der Grundlage der Marktzugangsabkommen tun können, die wir hier haben. Oder ob die Teilnahme am EU-Binnenmarkt sukzessive ausgehöhlt wird, weil wir uns nicht auf ein institutionelles Abkommen einigen können.
Das Gespräch führte Hans Ineichen.