Ausgangslage: Für den Bergsturz bei Bondo mit acht tödlich verunglückten Wanderern ist laut der Bündner Staatsanwaltschaft niemand verantwortlich. Die Untersuchungen dazu wurden eingestellt, wie die «NZZ am Sonntag» berichtete. Auf Antrag liegt dem «Regionaljournal Graubünden» nun die detaillierte Einstellungsverfügung anonymisiert vor. Sie ist zehn Seiten lang, fasst zusammen, was am 23. August 2017 geschah, was zur Situation am Berg bekannt war und begründet den Entscheid der Staatsanwaltschaft.
Trifft jemand eine Schuld? Die Staatsanwaltschaft hat die Untersuchung am 7. Juni eingestellt. In der Einstellungsverfügung heisst es im Fazit, der Bergsturz und die Murgänge hätten sich nicht voraussehen lassen. Niemand habe sich fahrlässig verhalten. Dem widerspricht Reto Nigg, Anwalt der Angehörigen. Es sei bekannt gewesen, dass sich in den nächsten Wochen und Monaten ein Bergsturz ereignen würde: «Ich bin der Auffassung, dass es unter diesen Umständen nicht verantwortbar war, die rege begangenen Wanderwege zu den beiden SAC-Hütten weiter offen zu halten».
Naturereignisse und ihre Folgen: Hätte man das Tal oder die Wanderwege sperren müssen? Die Staatsanwaltschaft verweist hier auf einen Entscheid des Bundesgerichts aus dem Jahr 2016. Bei dem Urteil ging es um die Frage, welche Folgen von Naturereignissen vorausgesehen werden müssen. Beim Bundesgerichtsurteil ging es um das Open-Air Frauenfeld. 2012 starb dort eine Helferin bei den Aufräumarbeiten. Ein Sturm, der angekündigt war, hatte eine Bodenplatte durch die Luft gewirbelt und die Frau erschlagen. Der Bauchef wurde vom Bundesgericht freigesprochen. In diesem Fall hätten zwar «zeitnahe Wetterprognosen auf die Unwetter hingewiesen», das Bundesgericht habe aber «die Vorhersehbarkeit von Wetter bedingten Unfällen mit Todesfolge verneint», schreibt die Bündner Staatsanwaltschaft.
Das Gutachten des Kantons: Weiter stützt sich die Staatsanwaltschaft auf ein Gutachten, das der Kanton in Auftrag gegeben hat. Ein eigenes, unabhängiges Gutachten liess die Staatsanwaltschaft nicht anfertigen. Die von der Bündner Regierung eingesetzte Expertengruppe kam zum Schluss, dass der Bergsturz und der Murgang in dieser Form nicht hätten vorausgesehen werden können. Die Experten seien zum Schluss gekommen, «dass dieser schlagartige Abgang eines derart grossen Bergsturzes in einem Paket, ohne Vorankündigung mit Felsstürzen, nicht vorausgesehen werden konnte.»
Die offenen Fragen: Kein Thema ist in der Einstellungsverfügung die Frage, warum vor dem Bergsturz manche Maiensässe im Tal geräumt wurden, der Wanderweg aber offen blieb. In der Einstellungsverfügung steht, dass ein Experte zwei Wochen vor dem Bergsturz per Mail empfohlen hatte, «das Val Bondasca nicht mehr zu betreten». Weiter schrieb er, «er erachte für sämtliche Maiensässhütten ein sofortiges Aufenthaltsverbot für sinnvoll». Neue Messungen hatten damals ergeben, dass sich der Fels am Piz Cengalo stärker bewegt.
Angehörige gehen vor Kantonsgericht: Die Angehörigen der acht Opfer sind mit dem Entscheid der Staatsanwaltschaft nicht einverstanden. Wie ihr Anwalt Reto Nigg auf Anfrage schreibt, müsse dieser Fall von einem Gericht beurteilt werden: «Deshalb habe ich die Einstellungsverfügung heute mittels Beschwerde beim Kantonsgericht angefochten.» Die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen seien nicht getroffen worden «obwohl das Ereignis in seiner Heftigkeit und Auswirkung richtig vorhergesagt worden war». Deshalb müsse ein Gericht den Fall beurteilen.
Wie geht es weiter? Das Kantonsgericht wird die Einstellungsverfügung der Bündner Staatsanwaltschaft beurteilen. Sie kann diese bestätigen - dann ist ein Weiterzug ans Bundesgericht möglich - oder die Einstellungsverfügung für weitere Abklärungen an die Staatsanwaltschaft zurückweisen.
SRF1, Regionaljournal Graubünden, 12:03 Uhr