Der Körperkult scheint keinen Feierabend zu kennen. Von 5 bis 23 Uhr an sieben Tagen die Woche hat «Let's go Fitness» in Biel/Bienne geöffnet. Selten ist ein Gerät frei.
«Krafttraining ist wieder in Mode gekommen. Alles, was jahrelang out war – Kniebeugen oder ‹Dead Lifts› – ist wieder im Trend», erklärt Antonio Capelli, Geschäftsführer des Fitnessstudios.
Mit einem Monatsabonnement bis über 100 Franken ist man dabei. Und das Geschäft der Fitnessstudios floriert. Ihre Umsätze beliefen sich 2022 auf über eine Milliarde Franken, mit guten Wachstumsaussichten, heisst es beim Dachverband Swiss Active.
Fast jeder sechste Erwachsene
Rund 1.16 Millionen Menschen in der Schweiz sind Mitglied in einem Fitnessstudio; fast jeder sechste Erwachsene. Ein grosses Netzwerk von Influencern und Influencerinnen sorgt für immer neue Trainingstrends.
Die Fitnessstudios passen sich dem an. Frédéric Delence, Leiter von «Activ Fitness» in der Westschweiz, sagt: «Es gibt einen Mentalitätswandel in Bezug auf die Sportnutzung.»
Und auch das Geschäft rund um den Körperkult ist riesig. Die Kundin Orelia Kande gibt dafür über tausend Franken pro Jahr aus, sei es für Nahrungsergänzungsmittel oder Sportbekleidung.
«Am Anfang wollte ich einfach nur abnehmen. Aber durch das Üben ist es zu einer Leidenschaft geworden», erklärt Kande.
Persönlicher Coach und personalisierte Trainings
Orelia Kande gönnt sich manchmal ein Personal Training für 110 Franken pro Stunde. Durch ihre Trainerin Catherine Andrey hat ihre Fitnessleidenschaft erst richtig angefangen.
Andrey widmet den grössten Teil ihrer Zeit ihrem eigenen Unternehmen. Sie entwickelt eine Trainings-App, verkauft Nahrungsergänzungsmittel und arbeitet an ihrem Online-Image.
«Ich bin Influencerin und Buchhalterin in einem. Und Instagram ist wie ein Schaufenster für das, was ich anbiete», erklärt die Trainerin mit über 13'000 Followerinnen und Followern. Die 25-jährige Westschweizerin beschäftigt drei Personen und hat letztes Jahr 120'000 Franken Umsatz generiert.
Körper als «ultimative Ressource»
Woher kommt diese Besessenheit, am eigenen Körper zu arbeiten? «Die Aufwertung von Muskeln steht für Leistung und Produktivität. In diesem Zusammenhang betrachten die Menschen ihren Körper als ultimative Ressource, die es zu verbessern gilt», analysiert Guillaume Vallet. Der Ökonom ist selbst Gewichtheber und hat ein Buch über die «Muskelfabrik» geschrieben.
Menschen betrachten ihren Körper als ultimative Ressource, die es zu verbessern gilt.
Vallet warnt aber auch davor, dass der Muskelkult manchmal süchtig machen kann. «Das grösste Risiko besteht darin, dass sich der Einzelne in diesem Prozess isoliert».
Den Körper anders kultivieren
Gerade Praktiken, die nicht nur auf Leistung konzentrieren, boomen auf dem Markt. So wie das Geschäft von Máxime Sprauel und seinen drei Geschäftspartnern. In ihrem Studio in Genf unterrichten sie «Movement Culture». Hier gibt es keine Geräte, sondern der Körper als solcher soll auf möglichst viele Arten trainiert werden.
«Wir verbringen unser Leben meist sitzend. Und dann sitzen wir auch noch an einem Gerät, um zu trainieren. In unserem Studio ist das Ziel, dass wir unseren Körper als Gerät nutzen», erklärt Sprauel. Nach drei Jahren zählt ihr Studio knapp siebzig Mitglieder.
Ob den Körper als Gerät oder am Gerät, die Angebote dafür sind vielfältig und werden immer mehr. Genau wie vermutlich die Zahl derer, die es nutzen.