Dürrenäsch im Kanton Aargau hat es vermutlich noch nie in eine Werbung von Schweiz Tourismus geschafft. Und doch war das Dorf mehr als zwanzig Jahre lang eine begehrte Feriendestination. Hier schuf der Industrielle Herbert Bertschy-Ringier 1956 das Auslandschweizer-Home, eine Ferienkolonie für Landsleute in aller Welt. Die meisten Gäste kamen aus den Nachbarländern, andere von weit her: Singapur, Kolumbien, Australien.
Isidor Keller kann sich noch gut an das Kommen und Gehen erinnern. Er wuchs nur wenige Meter neben dem «Home» – wie er es nennt – auf und lebt heute immer noch dort. Seine Mutter war im «Home» angestellt, kochte und wusch für die Feriengäste. Keller ist heute passionierter Lokalhistoriker.
Obwohl die Ferienkolonie 1979 ihre Türe schloss, hängen die grünen Schilder mit der Aufschrift Auslandschweizer-Home noch heute vor den Gebäuden in Dürrenäsch. Jetzt soll sie allerdings verkauft werden. Ein Stück Auslandschweizer-Geschichte wird damit definitiv verschwinden.
«Geist der Solidarität»
Bertschy-Ringier, der Gründer des Auslandschweizer-Homes, wuchs in Dürrenäsch auf. In den 1920er-Jahren bereiste er im Auftrag seines Vaters die ganze Welt. Das Familienunternehmen, eine Seidenfabrik, betrieb Filialen von England bis Neuseeland. In der Ferne hatte Bertschy «regen Kontakt mit Landsleuten in aller Welt», wie die Chronik des Auslandschweizer-Homes festhält, und er «war begeistert von der freundschaftlichen Aufnahme durch die Auslandschweizer in den Kolonien und beeindruckt von ihrer starken Bindung an die Heimat trotz der grossen Entfernung».
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Bild 1 von 8. Herbert Bertschy-Ringier mit Gattin Rita (1970). Bildquelle: zVg/Isidor Keller.
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Bild 2 von 8. Der Lokalhistoriker Isidor Keller, der gleich neben dem Auslandschweizer-Home aufgewachsen ist. Bildquelle: Thomas Kern/SWI.
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Bild 3 von 8. Die Gäste des Auslandschweizer-Homes verbrachten viel Zeit in diesem Garten. Bildquelle: Thomas Kern/SWI.
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Bild 4 von 8. Noch immer hängt am Gebäude das grüne Schild aus den Zeiten, als es noch eine Ferienkolonie war. Bildquelle: Thomas Kern/SWI.
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Bild 5 von 8. Die Boccia-Bahn war ein beliebter Treffpunkt der Ferienkolonie. Bildquelle: zVg/Isidor Keller.
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Bild 6 von 8. Auf gemeinschaftliches Arbeiten – wie hier in der Küche – wurde im «Home» grossen Wert gelegt. Bildquelle: zVg/Isidor Keller.
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Bild 7 von 8. Sogar über einen Tennisplatz verfügte die Ferienkolonie. Bildquelle: zVg/Isidor Keller.
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Bild 8 von 8. Was vom ehemaligen Tennisplatz übriggeblieben ist. Bildquelle: Thomas Kern/SWI.
Zusammen mit seiner Frau Rita Ringier, die der gleichnamigen Schweizer Verlegerfamilie entstammte, beschloss er, in Dürrenäsch eine Heimstätte einzurichten für die Landsleute aus dem Ausland. Das «Home» umfasste eine Reihe von Gebäuden: eine Zentrale im ehemaligen Fabrikgebäude mit Speisesaal, zwei Villen und mehrere Wohnhäuser. Auch ein Gewächshaus und ein Waschhaus gehörten dazu, sowie ein Bauernhof und eine Bäckerei.
Für die Übernachtungen gab es verschiedene Optionen, vom Massenschlag bis zum Einzelzimmer. Der «Geist der Solidarität» war wichtig. Von den Gästen wurde erwartet, dass sie beim Selbstversorgungsbetrieb mithalfen. Das Gründerpaar wollte eine Kolonie für alle, ungeachtet ihres Portemonnaies.
Zehn Franken pro Nacht, Arbeit inklusive
Der Lokalhistoriker Isidor Keller konnte aus dem Nachlass des «Homes» einen grossen Fundus an Bildern, Filmaufnahmen und anderen Erinnerungsstücken übernehmen. In seinem Büro hat er noch die Preisliste. Wer nicht mitarbeiten wollte oder konnte, musste sich freikaufen. Im ersten Jahr kostete eine Nacht ohne Mitarbeit 10 Franken, mit Arbeit die Hälfte. Zu tun gab es genug: in einem Video des Schweizer Fernsehens aus den 1960er-Jahren entstielt eine Gruppe Frauen einen grossen Haufen Johannisbeeren.
1960 hatte Dürrenäsch 899 Einwohner und Einwohnerinnen. Zur Hauptsaison um den 1. August wohnten bis zu 300 Feriengäste aus aller Welt im Dorf, erinnert sich Keller. Doch gegen Ende der 1970er-Jahre nahm die Belegung im «Home» ab, auch im Sommer war es nicht mehr voll. Das Reisen sei einfacher und erschwinglicher geworden, heisst es in der Chronik, die ehemaligen Gäste hätten an anderen Wunschdestinationen Erholung gesucht.