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Geiselnahme bei Yverdon Was hinter dem Geiseldrama steckt – eine Zeugin erzählt

Im Februar tötete die Polizei bei Yverdon einen Geiselnehmer. Er hatte in einem Zug 13 Passagiere festgehalten. Es handelte sich um einen psychisch kranken Asylbewerber. Erst jetzt wird klar, wie viele Warnzeichen die Behörden im Vorfeld der Tat ignoriert hatten.

Es passierte am 8. Februar auf der Strecke von Sainte-Croix nach Yverdon. Ein kurdisch-iranischer Asylbewerber bedrohte mit einer Axt zwölf Passagiere und den Zugführer und hielt sie vier Stunden lang als Geiseln. Sie konnten schlussendlich befreit werden. Der Geiselnehmer wurde von der Polizei erschossen. Das Strafverfahren läuft noch.

Ein verschwommenes Bild aus dem Zug, auf dem die Umrisse einer Geisel sowie der Täter mit dem Hammer zu sehen ist.
Legende: Der Täter bedrohte die Geiseln mit einer Axt, einem Messer und einem Hammer. RTS

Der Geiselnehmer hatte zuvor eine Mitarbeiterin eines Asylzentrums eineinhalb Jahre lang belästigt. In einem Interview mit dem Westschweizer Fernsehen RTS äusserte sie sich jetzt zum ersten Mal.

Carine (Pseudonym) erlebte einen wahren Albtraum. Sie arbeitete im Bundesasylzentrum Les Rochat, auf den Jurahöhen zwischen den Kantonen Waadt und Neuenburg. Hier landete der 30-jährige Qader B., ein kurdisch-iranischer Asylbewerber, im September 2022.

Als er im November 2022 in den Kanton Genf verlegt wurde, begann er, Carine zu belästigen. Zunächst aus der Ferne über Messenger, wo er ihr Profil gefunden hatte.

«Ich erhielt in sehr kurzer Zeit sehr viele Nachrichten», berichtet Carine gegenüber RTS. Sie blockte ihn ab und glaubte, fortan ihre Ruhe zu haben. Das Gegenteil passierte.

Qader B. wurde dysfunktional. Er behauptete, er sei von Carine verhext worden. Das geht aus Unterlagen des Genfer Sozialamtes hervor, in die RTS Einsicht nehmen konnte. Er wurde in psychiatrische Behandlung geschickt und bekam starke Medikamente. Doch nach einiger Zeit sagte er den Ärzten, dass er keine Hilfe mehr brauche.

Von da an fuhr er fast täglich von Genf nach Les Rochat, um vor dem Asylzentrum auf Carine zu warten. Die junge Mutter erzählt von ihren Ängsten: «Ich kam mit einem mulmigen Gefühl zur Arbeit. Oft holte mich der Sicherheitsdienst des Zentrums an meinem Auto ab, um mich zur Arbeit zu begleiten.»

Carine erwägte, Anzeige zu erstatten. Doch die Waadtländer Polizei riet ihr davon ab, mit der Begründung, dass sie nicht direkt und physisch bedroht werde. Das Sozialamt in Genf wurde nicht über die Belästigung informiert. Die Betreuung von Qader B. erwies sich in der Folge als zunehmend unsicher. Er wurde erneut kurzzeitig zwangsweise in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen, entkam jedoch und tauchte im Ausland unter.

Ende Januar 2024 tauchte er in einem besorgniserregenden Zustand wieder in Genf auf, wie es hiess. Er wurde im Empfangszentrum des Palexpo untergebracht, war unruhig und erlitt kurz vor der Geiselnahme gar einen Nervenzusammenbruch.

Eine Zeichnung, auf der ein Polizist zu sehen ist, der auf den Täter im Zug zielt. Dieser rennt durch den Wagon.
Legende: 13 Geiseln hielt der Täter Anfang Februar im Zug fest. Nach knapp vier Stunden stürmte die Polizei den Zug. Als der Täter auf die Beamten losging, wurde er erschossen. Cecilia Bozzoli/RTS

Die Schwere des psychischen Zustands von Qader B. blieb unter dem Radar, wie eine Notiz in seiner Akte am Tag vor der Tat bestätigt: «Dem Mann geht es besser. Er braucht keine medizinischen Massnahmen oder eine Therapie, wie er sagt.»

Unterdessen hat das Genfer Sozialamt nach eigenen Angaben mehrere Korrekturmassnahmen ergriffen, um Gesundheitsprobleme bei Migrantinnen und Migranten besser zu erkennen und zu verhindern. Zudem sei die Ausbildung des Personals, das die soziale Betreuung sicherstellt, in diesem Bereich verstärkt worden.

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Dieser Artikel erschien zuerst auf Französisch und wurde durch die «dialog»-Redaktion übersetzt. Die Originalversion können Sie auf  RTS lesen.

«dialog»  ist das Angebot der SRG, das mit Debatten und dem Austausch von Inhalten Brücken baut. Es will Menschen in allen Sprachregionen sowie Schweizerinnen und Schweizer im Ausland näher zusammenbringen.

RTS, 19:30 Uhr, 06.06.2024

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