Vor zwei Wochen hat die Waadtländer Polizei einen Geiselnehmer erschossen, der 13 Menschen über Stunden in seiner Gewalt hatte. Der Getötete war ein Geflüchteter aus dem Iran. Seine Familie hat Anklage gegen die Polizei erhoben. Die Familie unterstütze die Tat nicht, aber es sei nicht angebracht gewesen, ihn zu töten. Wie die Rechtslage diesbezüglich aussieht, erläutert Dominic Buttliger.
SRF News: In welchen Fällen darf die Polizei Schüsse abgeben?
Dominic Buttliger: Eine Situation erfordert Schusswaffengebrauch, wenn die Polizei oder eine Drittperson angegriffen wird, wenn jemand an Leib und Leben bedroht ist. Auch zur Fluchtverhinderung ist der Gebrauch von Schusswaffen möglich, falls die Gefahr besteht, dass die flüchtende Person jemanden an Leib und Leben schädigen könnte.
Eine Geiselnahme kann aus rechtlicher Sicht dazu führen, dass die Schusswaffe eingesetzt wird. Auch hier ist entscheidend, ob Leib und Leben gefährdet sind.
Spielt es rechtlich gesehen eine Rolle, dass es sich um eine Geiselnahme handelte?
Eine Geiselnahme kann aus rechtlicher Sicht dazu führen, dass die Schusswaffe eingesetzt wird. Auch hier ist entscheidend, ob Leib und Leben gefährdet sind. Bei Geiselnahmen ist dies in aller Regel der Fall. Und wenn kein milderes Mittel zur Verfügung steht, dann ist in diesen Fällen die Schusswaffe einzusetzen. Aber es ergibt sich aus der Logik, wenn wir einen Angriff gegen Leib und Leben haben, dass dann die Schusswaffe eingesetzt werden darf.
Bei einer Geiselnahme mit einem Täter, der unter anderem mit einer Axt bewaffnet ist, darf die Polizei sowieso schiessen?
Fälle wie dieser legen nahe, dass Schusswaffengebrauch legitim ist, wenn der Täter schwer bewaffnet ist oder mit einem gefährlichen Gegenstand ausgerüstet ist und unmittelbar viele Leute gefährden kann. Aber man kann es nie pauschal sagen. In jedem Einzelfall muss beurteilt werden, ob in dieser Situation die Voraussetzungen zum Einsatz der Schusswaffe gegeben waren. Konkret zum Fall kann ich es nicht sagen und pauschal darf ich es auch nicht sagen, weil jeder Einzelfall separat beurteilt werden muss.
Wir haben beim Taser die Herausforderung, dass möglicherweise in dynamischen Situationen der Einsatz des Tasers auch risikobehaftet ist.
Die Schusswaffe ist das schärfste Mittel. Die Polizei setzte in diesem Fall auch den Taser ein. Wäre es nicht die Idee, dass man den Taser erfolgreich benutzt?
Wenn es in allen Fällen klappen würde, dann wäre das sehr schön. Das Problem ist: Die Polizei muss situativ entscheiden. Wir haben beim Taser die Herausforderung, dass möglicherweise in dynamischen Situationen der Einsatz des Tasers auch risikobehaftet ist, sodass dieser nicht zum Ziel führt. Dann wäre es sogar denkbar, dass der Schusswaffengebrauch direkt möglich ist. Ist aber der Taser das Mittel der Wahl, wäre es sicher verhältnismässig, zuerst den Taser einzusetzen.
In diesem Fall hat der Taser versagt.
Jedes Zwangsmittel kann versagen. Das gilt ganz allgemein. Aber beim Taser spielt eine zusätzliche Schwierigkeit mit, weil Sie eigentlich zwei Geschosse abfeuern, die beide treffen müssen und einen Stromkreis bilden. Und das erfordert gewisse Grundvoraussetzungen. Je dynamischer die Situation, desto schwieriger ist das.
In einem Strafverfahren wird geklärt, ob die Schussabgabe korrekt war.
Hat die Klage der Familie des Geiselnehmers eine Chance?
Im konkreten Fall weiss ich das nicht. Wichtig ist aber zu wissen: Jede Polizistin und jeder Polizist, die oder der die Schusswaffe einsetzt, wird nachher in einem eigenen Verfahren auf der Anklagebank sitzen. In einem Strafverfahren wird geklärt, ob die Schussabgabe korrekt war. Selbstverständlich haben die Geschädigten oder seine Angehörigen das Recht, sich an diesem Verfahren zu beteiligen. Wenn jemand dieses Recht geltend macht, kann man daraus noch keinen Schluss ziehen.
Das Gespräch führte Sandro Della Torre.