«Ich habe Mühe, zu schlafen. Der ganze Alltag ist durcheinander.» Das sagt Brad Smith, der seit der Geiselnahme am 8. Februar mit Panikattacken zu kämpfen hat. Was damals als «sehr ruhiger Tag begann», so erinnert er sich, endete in einem vierstündigen Drama.
Der Waadtländer Brad Smith war eine der 13 Geiseln im Regionalzug von Sainte-Croix nach Yverdon-les-Bains. Der 37-Jährige ist noch immer geschockt von den Ereignissen.
«Er hielt die Axt an meinen Hals»
«Ich habe schnell versucht, wieder mit dem Zug zu fahren. Es war ein Zug mit ‹Halt auf Verlangen›. Zu sehen, wie der Zug am damaligen Tatort stoppt, ging nicht. Ich hatte eine Panikattacke.» Im Zug habe er dann hyperventiliert, «ich musste raus.»
«Darüber zu reden, hilft mir, das Ganze zu realisieren und zu verarbeiten.» Darum spreche er auch mit den Medien, sagt Smith.
Der Ladenbesitzer und Sporttrainer Smith erinnert sich an den Anfang der Geiselnahme. Der iranische Asylbewerber war mit einer Axt und einem Hammer bewaffnet. «Ich habe lange gebraucht, bis ich gemerkt habe, wie prekär die Situation ist.»
Dann legte er die Axtschneide an meinen Hals.
Wegen seiner Kopfhörer bemerkte er zwar den Mann im Zug, dachte sich aber nichts dabei. Deshalb überhörte er auch die ersten Aufforderungen des Geiselnehmers.
«Dann legte er die Axtschneide an meinen Hals», erzählt Smith, und befahl, sich im ersten Waggon des Zuges mit den anderen Passagieren zu versammeln. Das sei einer der schwierigsten Momente gewesen. «Danach versperrte er uns den Weg.» Dieses Gefühl, eingesperrt zu sein mit den anderen, sei schlimm gewesen.
Wenn ich nicht daran denke, kommen plötzlich Flashbacks.
Die Erinnerungen sind für Smith aber nicht jederzeit abrufbar. Wenn er versuche, sich daran zu erinnern, sei alles vage. «Aber wenn ich nicht daran denke, dann kommen plötzlich sehr präzise Flashbacks.»
Sprechen mit dem Geiselnehmer
Smith ist einer der wenigen, der immer wieder mit dem Geiselnehmer spricht. Weil er Farsi sprach, war die Verständigung schwierig. «Er konnte sich nicht gut ausdrücken.» Smith versuchte trotzdem, mit ihm zu sprechen wie mit einem Freund.
«Daniel war eine andere Geisel, die oft mit ihm gesprochen hat.» Beide hätten sie versucht, ihn zu beruhigen, Witze zu machen und als Barriere zu fungieren, um die anderen zu schützen.
Wenn der Geiselnehmer sprach, sprach niemand anderes.
Die Einsatzgruppen der Polizei, das Détachement d'action rapide et de dissuasion (DARD) und die Groupe d'intervention de la police de Lausanne (GIPL) waren draussen längst präsent. Der Geiselnehmer sprach mit der Polizei und einem Übersetzer. «Wenn der Geiselnehmer sprach, sprach niemand anderes. Die Angst war gar nicht so spürbar. Es war einfach still.»
Doch die Geiseln waren im Zug isoliert. «Weil wir keinen Strom hatten, fühlte sich die Zeit viel länger an.» Via Handy konnte er seine Verwandten informieren, auch andere taten dies.
Als er die Axt schliff, brach Panik aus
Dann schlug die Stimmung um, der Geiselnehmer wurde aggressiv. Er setzte eine Frist und zählte die Geiseln. Er begann, die Axt zu schärfen. Die Geiseln wurden panisch.
Da haben wir gemerkt, es kann sein, dass er uns heute Abend alle tötet.
«Plötzlich haben alle den Horror realisiert. Da haben wir gemerkt, es kann sein, dass er uns heute Abend alle tötet.» Die Polizei sagte immer, sie komme, kam aber nicht, erzählt Smith. «Und es war dunkel, man sah nichts als den Perron.»
Als sich dann der Geiselnehmer von der Gruppe wegbewegt, schreitet die Polizei ein. Smith war unglaublich erleichtert, als die Explosion ertönte. «Der Lärm, splitterndes Glas, Rauch, die Einsatzkräfte mit Waffen – es war wie im Kino. Ich habe mich nicht bewegt – ich habe mich befreit gefühlt.»
Es gebe eine gewisse Verschwisterung unter den Opfern, manchmal sehe man sich in Yverdon. Jeden Tag gehe er an den Bahnhof, zu den gleichen Zeiten, um sich mit sich selbst zu konfrontieren. «Ich will nicht die Angst gewinnen lassen.»