Rund 70'000 Patientinnen und Patienten besuchen jährlich die Notaufnahme des Universitätsspitals Lausanne (CHUV). Im vergangenen Jahr wurden davon rund 400 gewalttätig gegenüber dem Gesundheitspersonal – eine Zunahme von 24 Prozent im Vergleich zu 2022. Grund dafür ist auch ein verändertes Vorgehen gegenüber Gewalttaten.
«In der Vergangenheit neigte man dazu, Gewaltsituation eher zu entschuldigen oder einfach zu verschweigen», erklärt Pierre Merminod, der stellvertretende Sicherheitschef des CHUV gegenüber dem Westschweizer Fernsehen RTS. Mittlerweile herrsche jedoch eine Nulltoleranz bei solchen Vorfällen gegen das Personal. Jeder Fall werde registriert.
Dramen, soziales Elend und Gewalt: All das landet im CHUV.
Seit einigen Jahren wird das Pflegepersonal von einem Sicherheitspersonal unterstützt. Es zählt rund 50 Personen, die speziell für den Umgang mit Kranken geschult sind. Ihre Rolle besteht darin, das Risiko von Gewalt, die Patientinnen und Patienten sich selbst oder anderen zufügen können, zu minimieren und zu deeskalieren.
«In der Notaufnahme konzentrieren sich alle Übel der Gesellschaft», sagt etwa Kaled, der seit einem Jahr als Sicherheitsangestellter im CHUV arbeitet. «Dramen, soziales Elend und Gewalt: All das landet im CHUV. Man muss psychologisch resilient sein, um damit umgehen zu können.»
In der Notaufnahme des CHUV sind zwei Drittel der Gewaltfälle verbaler Art, ein Drittel körperlich und davon wiederum ein Prozent bewaffnete Gewalt – 2024 waren das vier solcher Vorfälle. Manchmal sind Alkohol- oder Drogenmissbrauch Ursachen für die Gewalt. Sie kann aber auch von Personen ausgehen, die Frust abbauen wollen oder psychologische Probleme haben.
Die Anwesenheit des Sicherheitspersonals kann bereits dabei helfen, die Situation zu beruhigen. «Es ist eine Herausforderung für uns. Man muss zwischen Einfühlungsvermögen und Härte balancieren können», erklärt Kaled. Doch manchmal reichen auch die deeskalierenden Worte nicht aus, und die Polizei muss eingeschaltet werden.
Veränderung der Mentalität
Dass die Gewaltsituationen zunehmen, liegt gemäss Adam-Scott Feiner, Kaderarzt in der Notaufnahme des CHUV, auch daran, dass die Polizei eher dazu neigt, renitente Menschen in die Notaufnahme zu bringen. «Die Welt hat sich verändert. Man steckt jemanden nicht zwingend in eine Zelle, um ihn zu beruhigen», sagt Feiner.
«Die Polizei ist viel empfindlicher für das Konzept des individuellen Leidens», sagt der Kaderarzt weiter. «Wenn ein Patient anfängt, sich selbst zu verletzen oder er bedrohlich wirkt, denkt die Polizei eher, dass er leidet und eine Behandlung notwendig ist. Und das ist eine gute Sache.»