Das Inselspital Bern meldet vermehrt Gewaltvorfälle auf der Notfallstation: «Wir stellen eine Zunahme fest», sagt Christian Leuenberger, Leiter Sicherheit Inselspital. Die Zunahme bewege sich am Inselspital im gleichen Rahmen wie jene des Patientenvolumens.
Die Gewalt beinhalte sowohl tätliche als auch verbale und sexuelle Gewalt.
Ist das ein schweizweites Problem? SRF hat bei den grössten Deutschschweizer Spitälern nachgefragt. Am Unispital Basel spürt man die gleiche Entwicklung: «Spitalweit nehmen solche Vorfälle jedes Jahr um etwa zehn Prozent zu», sagt Mediensprecherin Caroline Johnson. Über die Pandemiejahre sei es sehr intensiv gewesen, man habe auf eine Abflachung gehofft. «Das ist leider nicht eingetroffen», so Johnson.
Spitalweit nehmen solche Vorfälle jedes Jahr um etwa zehn Prozent zu.
Auch das Kantonsspital Luzern stellt eine Zunahme fest – konkrete Zahlen dazu fehlen. Im Unispital Zürich ist Gewalt ebenfalls keine Seltenheit – rund 900 Mal wird dort pro Jahr der Sicherheitsdienst alarmiert. «Die Zahl der Bedrohungen und Übergriffe auf Ärzteschaft und Pflegefachpersonen hat über die Jahre zugenommen, verharrt aber seit einiger Zeit auf dem gleichen Niveau», sagt Claudio Leitgeb, Bereichsleiter Unternehmenssicherheit am UZH.
Warum nimmt die Gewalt gegen das Spitalpersonal zu? «Es kommen zwei Trends zusammen», so Pierre-André Wagner, Leiter Rechtsdienst vom SBK, dem Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner. «Wir haben immer weniger Pflegepersonal. Konträr dazu aber immer mehr Patienten», so Wagner. Viele hätten keinen Hausarzt mehr und gingen darum direkt in die Notfallstation: «Die Wartezeiten nehmen zu – das macht die Leute rasend.» Es gebe zudem einen gesellschaftlichen Trend: «Verrohung ist ein starkes Wort – aber viele Leute haben den Respekt gegenüber Blaulichtberufen verloren.»
Fast jede Pflegefachperson hat schon Gewalt erlebt.
Durch den Fachkräftemangel könne man Patienten mit Gewaltrisiko auch nicht korrekt betreuen: «Man sollte zu zweit ins Zimmer – in der Realität ist das selten möglich», sagt Christina Schumacher, stv. Geschäftsführerin des SBK. Sie arbeitet seit 20 Jahren als Pflegefachfrau.
Viele gewalttätige Patientinnen und Patienten hätten psychiatrische Diagnosen, seien dement oder stünden unter Substanz- oder Alkoholeinfluss. Auch Verständigungsprobleme führten zu Konflikten, «in beide Richtungen». Einerseits könnten sich gewisse Hilfesuchende nicht genügend ausdrücken. Andererseits erzürnten sich einige Patienten, wenn ausländisches Personal nicht perfektes Berndeutsch spreche.
«Pflegefachpersonen, die vor Jahrzehnten gearbeitet haben, haben das vielleicht noch nicht erlebt», sagt sie. «Fast jede Pflegefachperson hat schon Gewalt erlebt», sagt Schumacher.
Um welche Art von Gewalt geht es? «Wird der Sicherheitsdienst einbezogen, geht es um brachiale Fälle», so Schumacher. Das Spektrum an physischer Gewalt reiche von Schlagen, Ohrfeigen, Würgen, Beissen, Haare reissen bis zum Anspucken. Daneben gebe es verbale und sexuelle Gewalt. «Pflegefachfrauen sind davon stark betroffen, da es nach wie vor ein Berufsfeld ist, in dem ein Grossteil weiblich ist.»
Welche Massnahmen bräuchte es? Laut Schumacher habe sie es in 20 Jahren Pflegeerfahrung noch nicht erlebt, dass es nach einem Gewalterlebnis ein strukturiertes Debriefing gegeben habe. «Es wird nachgefragt, wie es einem geht», so Schumacher. Mehr passiere in der Regel nicht. «Wir vom SKB fänden es wichtig, dass das Personal richtig nachbetreut und geschult wird», sagt Schumacher.
Was tut das Inselspital gegen die Gewalt? «Wir bieten dem Personal interne Ausbildungen im Aggressionsmanagement an», sagt Christian Leuenberger, Leiter Sicherheit Inselspital. Das Personal könne den Sicherheitsdienst aufbieten und in äussersten Fällen werde die Kantonspolizei eingeschaltet. Dies deckt sich mit den Aussagen der anderen angefragten Spitäler. Ob es deswegen Kündigungen im Inselspital gebe, sei allerdings nicht bekannt, so Leuenberger.