Die letzten Jahre von Marie-José Michelham of Hellingly, genannt Lady Michelham, gleichen einem Krimi. Die Witwe eines reichen englischen Lords, die seit den 1980er-Jahren in Genf lebte, verstarb Ende 2022. Kurz vor ihrem Tod hatte sie bei der Genfer Staatsanwaltschaft Anzeige erstattet.
Die Affäre begann 2019. Lady Michelham war 79 Jahre alt und führte ein zurückgezogenes, mondänes Leben zwischen Dinners, Wohltätigkeitsgalas und ihrer Stiftung. Sie war gesundheitlich angeschlagen und beschloss, einen persönlichen Assistenten einzustellen.
Hier traten die beiden Hauptakteure auf den Plan: ein Butler und eine in der Schweiz etablierte Personalvermittlung. Lady Michelham beschuldigte sie, ihre Verletzlichkeit ausgenutzt zu haben, um sie auszuplündern. Geschätzter Schaden: über vier Millionen Franken.
«Sie war eingesperrt»
«Sie konnte nicht mehr allein zum Safe gehen oder Geld abheben. Sie war abhängig von anderen», berichtet Sylvie Decobert, die Nichte der Philanthropin, gegenüber dem Westschweizer Radio und Fernsehen (RTS). Sie vertritt vor Gericht die Interessen ihrer verstorbenen Tante. «Von dem Tag an, als er kam, wollte er ihre Konten verwalten. Er hatte Zugang zu ihrer Kreditkarte, zu allen Schlüsseln, zu den Bankcodes, zu einfach allem.»
Der besagte Butler, ein Mann in den Fünfzigern, präsentierte sich online als künstlerischer Leiter, tätig in Kunst- und Modekreisen, ursprünglich Coiffeur und Visagist – ohne besondere Ausbildung in der medizinischen Betreuung.
Seit er als Butler für die Lady arbeitete, fanden sich Fotos von ihm mit Privatjet-Ausflügen, Gourmetessen und Luxushotels. Dies passt zu der eingereichten Klage: Lady Michelhams Ausgaben explodierten so sehr, dass ihre Banker alarmiert waren. Auf Kreditkartenabrechnungen tauchen plötzlich Einkäufe für mehrere Tausend Franken auf.
Ein leerer Keller
Für Lady Michelham kam der Schock 2020. Sylvie Decobert behauptet, den eigenen Keller leer vorgefunden zu haben. «Das war der Moment, in dem meine Tante realisierte, dass sie bestohlen worden war. Die Kleider, die Weine, der Champagner, alles war weg.» Der Butler wurde daraufhin entlassen und es wurde Anzeige erstattet.
RTS hat den früheren Angestellten kontaktiert. Er lebt heute in Frankreich und behauptet, angesichts dieser Anschuldigungen «eine Hölle» zu durchleben. Er bestreitet die Taten und spricht von einfachen Geschenken von Lady Michelham. Die Entlassung war aus seiner Sicht ungerechtfertigt und er hat deswegen eine Klage vor dem Arbeitsgericht eingereicht, um 185'000 Franken an ausstehenden Zahlungen einzufordern.
Die Justiz interessiert sich aber auch für die Rolle der Personalvermittlung. Deren Direktor muss sich gegenüber der Staatsanwaltschaft verantworten: Er wird des Betrugs und des Wuchers verdächtigt, weil er Personal zu Preisen zur Verfügung gestellt hat, die viermal höher waren als in der Branche üblich.
Hat sich die Genfer Philanthropin einfach in vollem Bewusstsein grosszügig gezeigt oder war sie Opfer einer Erpressung? Das wird die Untersuchung der Genfer Justiz klären müssen. Für die Beschuldigten gilt die Unschuldsvermutung.