In Südafrika enthält der Getreidebrei von Cerelac, der von Nestlé für Kinder ab sechs Monaten verkauft wird, sechs Gramm Zucker pro Portion – das entspricht anderthalb Würfeln pro Mahlzeit. In der Schweiz steht auf der Verpackung des gleichen Produkts der Hinweis «ohne Zuckerzusatz».
Das sei Doppelmoral, kritisiert die Organisation Public Eye in einem Bericht, den die RTS-Sendung «A Bon Entendeur» am Dienstagabend publik machte.
Zielländer mit niedrigem Einkommen
Die Organisation und das International Baby Food Action Network haben die Zusammensetzung von rund 100 Babynahrungsmitteln analysieren lassen, die von Nestlé weltweit verkauft werden.
Die Ergebnisse dieser Untersuchung sind eindeutig: Das multinationale Unternehmen mit Sitz in Vevey (VD) hat zwar in Europa praktisch auf Zuckerzusatz verzichtet, verwendet ihn aber in grossem Umfang in Babyprodukten, die für Länder mit niedrigem Einkommen bestimmt sind. Und dies zu einer Zeit, in der die WHO empfiehlt, die Zuckerzufuhr in der Ernährung von Kleinkindern drastisch einzuschränken, insbesondere um Fettleibigkeit zu bekämpfen.
«Durch die Zugabe von Zucker zu diesen Produkten zielt Nestlé – und auch andere Hersteller – einzig und allein darauf ab, bei Kindern eine Sucht oder Abhängigkeit zu erzeugen, weil sie den süssen Geschmack mögen», sagt Laurent Gabrell, Mitautor der Studie. «Wenn die Produkte also sehr süss sind, wollen sie in Zukunft mehr davon haben.»
Von den 78 Produkten der Marke Cerelac, die für die Studie in Afrika, Lateinamerika und Asien gekauft wurden, enthielten 75 zugesetzten Zucker. Im Durchschnitt waren es 4 Gramm bzw. ein Würfel Zucker pro Portion. Auf den Philippinen betrug dieser Wert bei einem der Produkte in der Stichprobe sogar 7.3 Gramm pro Portion.
Verwendung von Saccharose und Honig
Auch Produkte der Marke Nido, die in vielen Ländern vertrieben werden, sind betroffen. «Nestlé behauptet, diese Produkte seien 'frei von Süssungsmitteln', obwohl sie zugesetzten Zucker in Form von Honig enthalten», schreibt Public Eye. Doch ob Honig oder Zucker, beides werde von der WHO als Süssungsmittel angesehen, das nicht in Babynahrung enthalten sein sollte.
Angesprochen auf diese Praktiken gibt Nestlé eine allgemeine Antwort: «Alle unsere Rezepturen entsprechen den internationalen und lokalen Gesetzen, einschliesslich der Kennzeichnungsvorschriften.» Das Unternehmen fügt hinzu, dass «geringfügige Abweichungen der Rezepturen von Land zu Land von verschiedenen Faktoren, einschliesslich der Gesetze, abhängen, ohne die Qualität unserer Produkte zu beeinträchtigen».
Eine Marketingstrategie
Die Studie kritisiert auch das Marketing des Lebensmittelriesen. «Einer der wichtigsten Aspekte der Marketingstrategie von Nestlé ist das sogenannte medizinische Marketing», sagt Laurent Gaberell. «Dabei geht es darum, Fachleute aus dem Gesundheitswesen in die direkte oder indirekte Werbung für ihre Produkte einzubeziehen.» Er nennt als Beispiel den Fall einer Ernährungsberaterin in Panama, die auf Online-Kanälen das Produkt Nido 1+ empfehle, das jedoch fast zwei Würfel Zucker pro Portion enthalte.
Auch hierzu sagt Nestlé: «Wir halten uns in allen Ländern, in denen wir tätig sind, an die geltenden Vorschriften.»