Beschädigte und zerstörte Häuser und Strassen und mindestens zwölf Tote oder Vermisste: Das ist die Bilanz der Unwetter, welche die Schweizer Südkantone zwischen Mitte Juni und Anfang Juli heimgesucht haben. Die starken Regenfälle setzten Felsmaterial in Bewegung und lösten Schlamm- und Steinlawinen aus.
Jährlich verursachen Murgänge Schäden von durchschnittlich 100 Millionen Franken. Der Klimawandel wird laut der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) zu einer Zunahme von extremen Niederschlagereignissen führen und damit das Risiko von Murgängen erhöhen.
Massnahmen zum Schutz der Bevölkerung und der Infrastruktur sind daher unverzichtbar, besonders in bereits betroffenen oder als gefährdet geltenden Gebieten. Es gibt im Wesentlichen zwei Lösungen: Warnsysteme und Schutzbauten.
Warnung mittels KI
Warnsysteme können die Möglichkeit eines Murgangs vorhersagen oder Bewegungen von Geschiebe erkennen, wenn diese bereits im Gang sind. Im ersten Fall basieren die Vorhersagen primär auf der Regenmenge. Das habe den Vorteil, dass Feuerwehr und Polizei alarmiert werden können, sagt Alexandre Badoux, Murgangexperte bei der WSL.
Murgänge bildende Bäche reagieren nicht alle gleich auf Starkniederschläge: Deshalb ist es schwierig, einen Schwellenwert für die Niederschlagsmenge festzulegen, der für eine ganze Region gilt, ohne Fehlalarme auszulösen.
Das andere System erkennt einen Murgang mithilfe von Instrumenten, die im Bachbett oder am Ufer installiert werden. Metallische Reissleinen brechen beim Durchgang von Material, während Sensoren die sich im Boden ausbreitenden Wellen auffangen. Auch hier gibt es Nachteile: Beginnt der Murgang abwärts zu fliessen, bleibt meist wenig Zeit, um Alarm zu schlagen. Um Zeit zu gewinnen, haben Forschende ein Alarmsystem entwickelt, das auf KI basiert.
Der Algorithmus, der mit den Daten früherer Murgänge trainiert wurde, ist in der Lage, Materialbewegungen von Erschütterungen zu unterscheiden, die etwa Kuhherden oder der Bahnverkehr verursachen. Das System wurde 2020 im Wallis getestet. Mit einem erfreulichen Resultat: Die Vorwarnzeit konnte dabei um 20 Minuten verlängert werden.
Stahlnetze schützen Infrastruktur
«Warnsysteme können Menschen schützen und Leben retten», sagt Badoux. «Schäden an der Infrastruktur können sie aber nicht verhindern.» Betonmauern und Dämme können Häuser und Infrastruktur vor Murgängen schützen. Doch sie sind teuer und brauchen viel Platz.
Eine Alternative sind Stahlnetzbarrieren, die schon gegen Erdrutsche und Lawinen eingesetzt werden. Seit 2007 wurden in der Schweiz über 110 solcher Barrieren errichtet.
Doch wie die Warnsysteme haben auch die Stahlnetze ihre Grenzen. Sie seien nur dort sinnvoll, wo sich selten Murgänge bilden, sagt Badoux. «Sonst müssten sie ständig gereinigt werden, was enorme Kosten verursacht.» Ein weiterer Schutz gegen Murgänge sind Rückhaltebecken. Sie können grosse Materialmengen aufnehmen, benötigen aber eine grosse Fläche.
Mitarbeit: Céline Stegmüller/SWI