Die Olympischen Sommerspiele finden dieses Jahr in Paris statt. Das ist auch die Geburtsstadt von Pierre de Coubertin, dem Begründer der modernen Olympischen Spiele. Der 1863 geborene Aristokrat spielte eine entscheidende Rolle bei der Wiederbelebung der Olympischen Spiele und gründete 1894 das Internationale Olympische Komitee (IOC). Dennoch hat «Paris 2024» nicht viel getan, um de Coubertin dem heutigen Publikum vorzustellen.
Und das aus gutem Grund. In Bezug auf Frauen schrieb er 1922: «Eine kleine weibliche Olympiade neben der grossen männlichen Olympiade. Wo wäre da das Interesse? Uninteressant, unästhetisch, und wir scheuen uns nicht, hinzuzufügen: unkorrekt.»
Ist das untragbar? Nicht zu seiner Zeit, sagt seine Urururgrossnichte Diane de Navacelle der Nachrichtenagentur AFP: «1920 hatten Frauen kein Wahlrecht, waren ihren Männern unterworfen, wurden in Korsetts gezwängt, und Ärzte behaupteten, dass Sport sie daran hindern könnte, Kinder zu bekommen.»
Bewunderung für die Berliner Spiele des Nazi-Regimes
Ebenso werden heute de Coubertins Äusserungen über «Rassen» kritisiert. De Coubertins rassistische Ideologie kommt in einem Gedicht, das er für die Olympischen Spiele in Stockholm 1912 schrieb, zum Ausdruck: «O Sport, du bist die Fruchtbarkeit! Du strebst direkt und edel nach der Vervollkommnung der Rasse, zerstörst die ungesunde Saat und korrigierst die Fehler, die ihre wesentliche Reinheit bedrohen.»
Nach seinem Tod wurde ihm seine Bewunderung für die Organisation der Berliner Spiele 1936 durch das Nazi-Regime vorgeworfen. In einer Rede, die de Coubertin 1936 im Westschweizer Radio hielt, sagte er: «Ich habe den Eindruck, dass ganz Deutschland, von seinem Führer bis zu den bescheidensten Schülern, sich sehnlichst wünscht, dass die Feierlichkeiten zu den schönsten gehören, die die Welt je gesehen hat.» Diane de Navacelle räumt ein: «Was ihn begeisterte, war, dass ein Land das damals grösste Leichtathletikstadion baute.»
«Ich glaube nicht, dass er die Nazi-Ideologie der Ausrottung der Feinde der arischen Rasse übernommen hat», betont Aymeric Mantoux, Autor einer Biografie über de Coubertin: «Aber zwischen seiner Vision und der des Dritten Reichs gibt es Gemeinsamkeiten, die auf dem Willen beruhen, eine Nation durch den Sport wiederzubeleben.»
Die Spiele der Antike wiederherstellen
Pierre de Coubertin begann in jungen Jahren einen Kreuzzug für den Schulsport. Da kam er auf die Idee, die antiken olympischen Spiele wiederherzustellen, die im 4. Jahrhundert aufgegeben wurden.
Eine Persönlichkeit zwischen den Epochen
Und so kam es, dass de Coubertin im Jahr 1900 die ersten modernen Spiele in Paris ins Leben rief. Damals noch unbemerkt: weil sie im imposanten Rahmen der Weltausstellung stattfanden und in «internationale Wettbewerbe für Leibesübungen und Sport» eingebettet waren, in denen es von skurrilen Wettbewerben wie einem Heissluftballonwettbewerb, Drachensteigen und einem Eselrennen nur so wimmelte. Der verärgerte de Coubertin kämpfte weiter, um die Spiele populärer zu machen. Mit Erfolg.
Nach seinem Tod hinterliess er ein erstaunliches Testament: Er bat darum, dass sein Leichnam in Lausanne ruhe, sein Herz jedoch nach Olympia, den Ort der antiken Spiele, gebracht werde. Dort befindet sich noch immer eine Stele, wo Menschen dem umstrittenen Vater der modernen Olympischen Spiele ihre Ehre erweisen können.