Am nächsten Freitag starten die Olympischen Sommerspiele in Paris. Auch sechs Teilnehmende aus Afghanistan sind dabei – darunter drei Athletinnen. Und das, obwohl die Taliban in Afghanistan Sport für Frauen verboten haben. Wie geht das zusammen? ARD-Korrespondent Peter Hornung, der immer wieder nach Afghanistan reist, ordnet ein.
SRF News: Was sind das für Frauen, die an den Olympischen Spielen für Afghanistan antreten?
Peter Hornung: Es sind zwei Velofahrerinnen und eine Sprinterin. Die beiden Schwestern Fariba und Yulduz Hashimi haben 2017 in Afghanistan mit dem Velofahren angefangen. Sie lebten in einer konservativen Gegend und mussten das heimlich und verkleidet machen, damit nicht auffiel, dass Frauen Velo fahren. 2021, als die Taliban in Afghanistan die Macht übernommen haben, sind die Hashimi-Schwestern nach Italien geflohen. Nun trainieren sie in Aigle im Kanton Waadt am World Cycling Center.
Afghanistans Olympia-Radfahrerinnen: die Hashimi-Schwestern
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Bild 1 von 5. Die beiden Schwestern Yulduz und Fariba Hashimi (rechts) haben 2017 in Afghanistan mit dem Velofahren angefangen. Mittlerweile trainieren sie in der Schweiz. Bildquelle: KEYSTONE/Gabriel Monnet.
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Bild 2 von 5. An der afghanischen Frauen-Velomeisterschaft 2022 im Waadtländischen Aigle erreichte Fariba Hashimi (Mitte) den ersten Platz, ihre Schwester Yulduz (links) wurde zweite. Bildquelle: KEYSTONE/Gabriel Monnet.
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Bild 3 von 5. Im vergangenen Jahr fuhr die heute 24-jährige Yulduz Hashimi mit der Tour de Berlin Feminin ein Profirennen. Bildquelle: imago images/frontalvision.com.
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Bild 4 von 5. Auch ihre Schwester, die heute 21-jährige Fariba Hashimi, nahm am Profirennen in Berlin teil. Ein Jahr vorher, 2022 in Aigle, gewann Fariba die afghanische Frauen-Velomeisterschaft. Bildquelle: KEYSTONE/Gabriel Monnet.
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Bild 5 von 5. An den Olympischen Sommerspielen in Paris wollen die beiden Schwestern abräumen. (Bild 2022 aus Aigle; links Yulduz, rechts Fariba). Bildquelle: KEYSTONE/Gabriel Monnet.
Die dritte Afghanin, die an den Olympischen Spielen teilnimmt, heisst Kamia Yousufi. Die heute 28-jährige Sprinterin war schon 2016 in Rio de Janeiro und 2020 in Tokio dabei. Auch sie ist im Jahr 2021 geflohen und lebt jetzt in Australien im Exil.
Die dritte Olympionikin für Afghanistan: Kamia Yousufi
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Bild 1 von 3. Kamia Yousufi (Mitte) 2016 an den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro: Sie nahm im ersten Lauf der Vorausscheidung über 100 Meter teil, verfehlte jedoch die Qualifikation für die erste Runde. Bildquelle: REUTERS/David Gray.
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Bild 2 von 3. Auch an den Olympischen Spielen 2020 in Tokio war Yousufi dabei und trug mit dem Judoka Farzad Mansouri die afghanische Flagge. In der Vorausscheidung über 100 Meter verbesserte sie ihren Landesrekord auf 13.29 Sekunden, scheiterte aber erneut an der Qualifikation für die erste Runde. Bildquelle: imago images/USA TODAY/Rob Schumacher.
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Bild 3 von 3. Kamia Yousufi ist heute 28 Jahre alt und lebt in Australien im Exil. (Bild von Olympia 2016 in Rio de Janeiro). Bildquelle: REUTERS/David Gray.
Auf den ersten Blick könnte man meinen, es sei ein positives Signal, dass Frauen für Afghanistan antreten dürfen. Trügt der Schein?
Ja, das könnte man sagen. Ein Taliban-Sprecher hat gesagt, für Afghanistan träten nur drei Männer an. Die drei Frauen werden ignoriert, weil sie in Afghanistan keinen Sport machen dürfen. Deshalb treten diese Frauen mit der alten schwarz-rot-grünen Flagge der Republik an und nicht mit jener der Taliban. Aber man muss auch wissen: Die Taliban sind international nicht als legitime Regierung Afghanistans anerkannt – deshalb sind sie auch nicht eingeladen vom IOC.
Im Vorfeld der Olympischen Spiele wurde diskutiert, ob Afghanistan überhaupt teilnehmen dürfe. Während der letzten Taliban-Herrschaft war das Land ja ausgeschlossen worden. Warum ist es diesmal anders?
Das sind komplexe Gründe. Man hat sich dazu entschlossen, das Nationale Olympische Komitee (NOC) Afghanistans im Exil anzuerkennen, als legitime Olympiavertretung des Landes. Da gab es intensive Verhandlungen. Die NOC-Mitglieder von Afghanistan leben seit 2021 alle im Exil. Es geht darum, dass Afghanistan präsent ist bei den Olympischen Spielen, um auf die Situation der Sportlerinnen hinzuweisen.
Das IOC ist da vorsichtig. Doch im vergangenen Jahr hiess es bei der IOC-Sitzung in Mumbai, man verhandle mit den Taliban. Im schweizerischen Aigle fand vor zwei Jahren sogar die afghanische Frauen-Velomeisterschaft statt.
Die Athletinnen wollen ein Signal an die Frauen und Mädchen in Afghanistan senden. Kommt das dort überhaupt an?
Dass Frauen teilnehmen, wird selbst von unabhängigen Sendern in Afghanistan nicht berichtet. Sie erhalten bei Berichten, die den Taliban nicht genehm sind, sofort einen Anruf vom Geheimdienst. Das hat mir jüngst ein Kollege bestätigt. Einzig über die Sprinterin Kamia Yousufi wurde berichtet, als sie 2020 in Tokio war.
Die Mädchen und Frauen in Afghanistan freuen sich, dass jemand ihre gestohlenen Träume repräsentiert.
Die Menschen in Afghanistan haben allerdings Internet und bekommen mit, was draussen vor sich geht. Zudem gibt es Exilmedien, die über die afghanischen Teilnehmerinnen bei den aktuellen Olympischen Spielen berichten. Das sehen die Mädchen und Frauen in Afghanistan mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Sie sind traurig, dass sie diese Träume nicht leben können. Doch sie freuen sich auch, dass jemand ihre gestohlenen Träume repräsentiert.
Das Gespräch führte Silvia Staub.