Am nächsten Freitag starten die Olympischen Sommerspiele in Paris. Auch sechs Teilnehmende aus Afghanistan sind dabei – darunter drei Athletinnen. Und das, obwohl die Taliban in Afghanistan Sport für Frauen verboten haben. Wie geht das zusammen? ARD-Korrespondent Peter Hornung, der immer wieder nach Afghanistan reist, ordnet ein.
SRF News: Was sind das für Frauen, die an den Olympischen Spielen für Afghanistan antreten?
Peter Hornung: Es sind zwei Velofahrerinnen und eine Sprinterin. Die beiden Schwestern Fariba und Yulduz Hashimi haben 2017 in Afghanistan mit dem Velofahren angefangen. Sie lebten in einer konservativen Gegend und mussten das heimlich und verkleidet machen, damit nicht auffiel, dass Frauen Velo fahren. 2021, als die Taliban in Afghanistan die Macht übernommen haben, sind die Hashimi-Schwestern nach Italien geflohen. Nun trainieren sie in Aigle im Kanton Waadt am World Cycling Center.
Afghanistans Olympia-Radfahrerinnen: die Hashimi-Schwestern
Die dritte Afghanin, die an den Olympischen Spielen teilnimmt, heisst Kamia Yousufi. Die heute 28-jährige Sprinterin war schon 2016 in Rio de Janeiro und 2020 in Tokio dabei. Auch sie ist im Jahr 2021 geflohen und lebt jetzt in Australien im Exil.
Die dritte Olympionikin für Afghanistan: Kamia Yousufi
Auf den ersten Blick könnte man meinen, es sei ein positives Signal, dass Frauen für Afghanistan antreten dürfen. Trügt der Schein?
Ja, das könnte man sagen. Ein Taliban-Sprecher hat gesagt, für Afghanistan träten nur drei Männer an. Die drei Frauen werden ignoriert, weil sie in Afghanistan keinen Sport machen dürfen. Deshalb treten diese Frauen mit der alten schwarz-rot-grünen Flagge der Republik an und nicht mit jener der Taliban. Aber man muss auch wissen: Die Taliban sind international nicht als legitime Regierung Afghanistans anerkannt – deshalb sind sie auch nicht eingeladen vom IOC.
Im Vorfeld der Olympischen Spiele wurde diskutiert, ob Afghanistan überhaupt teilnehmen dürfe. Während der letzten Taliban-Herrschaft war das Land ja ausgeschlossen worden. Warum ist es diesmal anders?
Das sind komplexe Gründe. Man hat sich dazu entschlossen, das Nationale Olympische Komitee (NOC) Afghanistans im Exil anzuerkennen, als legitime Olympiavertretung des Landes. Da gab es intensive Verhandlungen. Die NOC-Mitglieder von Afghanistan leben seit 2021 alle im Exil. Es geht darum, dass Afghanistan präsent ist bei den Olympischen Spielen, um auf die Situation der Sportlerinnen hinzuweisen.
Das IOC ist da vorsichtig. Doch im vergangenen Jahr hiess es bei der IOC-Sitzung in Mumbai, man verhandle mit den Taliban. Im schweizerischen Aigle fand vor zwei Jahren sogar die afghanische Frauen-Velomeisterschaft statt.
Die Athletinnen wollen ein Signal an die Frauen und Mädchen in Afghanistan senden. Kommt das dort überhaupt an?
Dass Frauen teilnehmen, wird selbst von unabhängigen Sendern in Afghanistan nicht berichtet. Sie erhalten bei Berichten, die den Taliban nicht genehm sind, sofort einen Anruf vom Geheimdienst. Das hat mir jüngst ein Kollege bestätigt. Einzig über die Sprinterin Kamia Yousufi wurde berichtet, als sie 2020 in Tokio war.
Die Mädchen und Frauen in Afghanistan freuen sich, dass jemand ihre gestohlenen Träume repräsentiert.
Die Menschen in Afghanistan haben allerdings Internet und bekommen mit, was draussen vor sich geht. Zudem gibt es Exilmedien, die über die afghanischen Teilnehmerinnen bei den aktuellen Olympischen Spielen berichten. Das sehen die Mädchen und Frauen in Afghanistan mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Sie sind traurig, dass sie diese Träume nicht leben können. Doch sie freuen sich auch, dass jemand ihre gestohlenen Träume repräsentiert.
Das Gespräch führte Silvia Staub.