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Polarisierung der Geschlechter Wo junge Frauen anders ticken als junge Männer

Es ist ein Phänomen, das weltweit beobachtet wird: In den jüngeren Generationen driften die politischen Haltungen von Frauen und Männern auseinander. Eine grosse Meinungsumfrage der SRG zeigt erstmals im Detail, wo die Differenzen besonders gross sind.

Wenn es ein Thema gibt, bei dem zwischen jungen Frauen und Männern Streit wahrscheinlich ist, dann ist es der Umgang mit Minderheiten. Das zeigt die grosse SRG-Meinungsumfrage «Wie geht's, Schweiz?». Eine Analyse der Antworten der 16- bis 39-Jährigen zeigt:

  • 63 Prozent der jungen Männer finden, «Woke» und «Gender» seien Pseudoprobleme wohlstandsverwöhnter Stadtmenschen. 54 Prozent der jungen Frauen sind gegenteiliger Ansicht.
  • 65 Prozent der jungen Männer finden, die Menschen sollten sagen können, was sie denken, auch wenn es andere beleidigt. 59 Prozent der jungen Frauen finden, das sollten sie nicht.
  • 46 Prozent der jungen Frauen stören sich daran, wenn in ihrem Freundeskreis ein rassistischer Witz gemacht wird. 74 Prozent der jungen Männer finden, deswegen gehe die Welt nicht unter.

So wichtig jungen Frauen die Toleranz ist, wenn es Minderheiten betrifft, so begrenzt ist sie im eigenen Liebesleben: 64 Prozent sagen, sie könnten sich keine Beziehung mit einer Person vorstellen, die klar andere politische Ansichten hat als sie. 52 Prozent der jungen Männer sagen, sie hätten damit kein Problem.

Natürlich gehen nicht bei allen Fragen die Ansichten von Frau und Mann auseinander. Beide Geschlechter zeigen sich zum Beispiel insgesamt mehrheitlich zufrieden mit ihrem Leben. Es gibt aber etliche Themen, bei denen zumindest deutliche Unterschiede auffallen.

Die Umfrage

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Die Meinungsumfrage «Wie geht’s, Schweiz?» ist im Frühling 2023 und 2024 vom Forschungsinstitut GFS Bern im Auftrag der SRG durchgeführt worden. Es ist eine der grössten Meinungsumfragen, die es in der Schweiz je gegeben hat. 51'182 Menschen nahmen an der Ausgabe von 2024 teil. Sie beantworteten rund 300 Fragen zu allen Aspekten des täglichen Lebens.

3000 der Befragten wurden aus einem Online-Panel von GFS Bern ausgewählt und zwar so, dass ein repräsentatives Abbild der Schweizer Bevölkerung entstand (16 Jahre und älter). Die übrigen Befragten füllten den Fragebogen online aus. Sie wurden über die Kanäle der SRG dazu aufgerufen.

Der Stichprobenfehler liegt bei +/- 1.8 Prozent bei 50 zu 50 und 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit.

Zum Beispiel bei der Haltung zur Arbeit: 91 Prozent der jungen Frauen sind damit einverstanden, dass Stress und Tempo am Arbeitsplatz immer mehr Personen überfordern. Bei den jungen Männern ist die Zustimmung etwas geringer (79 Prozent). Gross ist die Kluft wiederum bei der Aussage, man müsse nur hart arbeiten, dann könne man der Armut entkommen: 56 Prozent der jungen Männer stimmen dem voll oder eher zu, 69 Prozent der jungen Frauen sagen das Gegenteil.

Menschen beim Überqueren eines Fussgängersstreifens.
Legende: Bei manchen Themen gehen die Ansichten von jungen Frauen und jungen Männern diametral auseinander. Keystone/Christian Beutler

Ähnlich verhält es sich bei der Klimapolitik: 70 Prozent der jungen Frauen finden, in der Schweiz müsse man sich vom hohen Lebensstandard verabschieden, um den Klimawandel zu stoppen. Eine knappe Mehrheit der jungen Männer widerspricht dem.

Bei so viel politischem und gesellschaftlichem Zündstoff erstaunt es nicht, dass in der jüngeren Generation auch keine Einigkeit darüber besteht, was die Gleichstellung der Geschlechter betrifft.

Werden Männer und Frauen in der Schweizer Gesellschaft gleich behandelt? Drei Viertel der jungen Frauen sagen «Nein», 58 Prozent der jungen Männer finden «Ja». Ein Grund dafür dürfte die unterschiedliche persönliche Betroffenheit sein: Während 57 Prozent der jungen Frauen sagen, sie seien selbst schon wegen ihres Geschlechts diskriminiert worden, ist das bei jungen Männern nur bei 18 Prozent der Fall.

Urs Bieri von GFS Bern sieht in diesen Zahlen eine «wachsende Ungeduld junger Frauen mit der Geschlechtersituation». Sie wüchsen in einem Umfeld auf, das ihnen sage: Alle sind gleich. «Wenn sie das dann in ihrem Alltag anders erleben, reagieren sie unversöhnlich gegenüber den Privilegierten, also den Männern», sagt Bieri.

Stellt das fürs politische System in der Schweiz eine Gefahr dar? Da macht sich Bieri keine Sorgen: «Es gibt immer noch genug Klammern, die die Schweizer Gesellschaft zusammenhalten.»

Weitgehende Harmonie zwischen Stadt und Land

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Der oft beschworene Graben zwischen Stadt und Land ist in der Meinungsumfrage «Wie geht’s, Schweiz?» nicht wirklich festzustellen. Zum Beispiel bei der Aussage: «‹Woke› und ‹Gender› sind ein Pseudoproblem wohlstandsverwöhnter Städterinnen und Städter.» Während sich bei jungen Frauen und Männern die Antworten dazu diametral unterscheiden, gibt es zwischen Stadt und Land zwar auch Differenzen, aber sie sind vergleichsweise klein. Auf dem Land sind 67 Prozent der Befragten voll oder eher mit der Aussage einverstanden, in grossen Agglomerationen ist das bei 56 Prozent der Fall.

Ähnlich das Bild bei einer anderen Aussage, bei der es unter den Jungen einen Geschlechtergraben gibt: «Männer und Frauen werden in der Schweizer Gesellschaft gleich behandelt.» In den Städten sind 58 Prozent eher oder gar nicht damit einverstanden, auf dem Land 55 Prozent. Man könnte fast schon von Übereinstimmung sprechen.  

Selbst bei der Frage, die direkt auf den Stadt-Land-Konflikt zielt, ist man sich zwar keineswegs einig, von einem «Graben» kann aber auch da nicht gesprochen werden. Es geht um die Aussage: «Die Schweiz trägt zu wenig Sorge zu ihren ländlichen Regionen.» In ländlichen Gebieten finden 56 Prozent voll oder eher «Ja»; in den grossen Agglomerationen sagt aber nur eine knappe Mehrheit von 51 Prozent «Nein».

Heute Morgen, 30.01.2025, 06:06 Uhr

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