Wenn eine Person im Spital stirbt und sich keine Angehörigen melden, werden die sterblichen Überreste zehn Tage lang in der Leichenhalle aufbewahrt. Nach Ablauf dieser Frist wird der Verstorbene als nicht abgeholte Leiche eingestuft.
Nach Angaben des Universitätsspitals von Genf lassen sich solche Fälle durch mehrere Faktoren erklären: extreme Einsamkeit, mangelnde Planung der Beerdigung oder familiäre Konflikte.
In der überwiegenden Mehrheit der Fälle handelt es sich um Senioren und Seniorinnen, die in Isolation leben. «In den letzten zwei Jahren waren mehr als zwei Drittel der Betroffenen 70 Jahre oder älter», erklärt Elodie Namer, medizinisch-administrative Leiterin der Abteilung für klinische Pathologie, gegenüber dem Westschweizer Radio und Fernsehen (RTS).
Die Zahl der Fälle ist in den letzten Jahren leicht angestiegen. «Um dies zu erklären, muss man auch die grosse geografische Mobilität und die Zerstreuung der Familien mit berücksichtigen. Ausserdem können finanzielle Schwierigkeiten die Familien davon abhalten, sich um eine Beerdigung zu kümmern», so Elodie Namer weiter.
Suchinserat als letztes Mittel
Nach Ablauf der Zehn-Tage-Frist leitet das Universitätsspital Nachforschungen ein, um eine Familie oder enge Freunde ausfindig zu machen. Die Ermittlungen stützen sich auf die Datenbank Calvin des kantonalen Bevölkerungsamts. Mithilfe dieser Datenbank lassen sich verwandtschaftliche Beziehungen aufspüren. Als letztes Mittel wird ein Suchinserat in Zeitungen und im offiziellen Amtsblatt des Kantons veröffentlicht.
Für all das ist Christine Lansard zuständig. Sie sorgt dafür, dass jeder und jede Verstorbene mit Würde behandelt wird. «Wir bleiben in einer Spitalumgebung, und es ist die letzte Pflege, die man dem Verstorbenen zukommen lassen kann», sagt sie.
Kollektive Zeremonie geplant
Leider bleibt die Suche in den meisten Fällen erfolglos. Gemäss dem Friedhofsgesetz ist für die Einäscherung oder die Bestattung – sofern der oder die Verstorbene dies wünscht – die Wohnsitzgemeinde zuständig.
Im Fall einer Kremation bewahrt die Stadt Genf die Asche ein Jahr lang auf, bevor sie in den Gedenkgarten gestreut wird. Es gibt keine Zeremonien oder Versammlungen: Die Verstreuung findet in völliger Anonymität statt.
Doch das könnte sich bald ändern. Die Stadt Genf möchte eine kollektive Zeremonie für alle in Vergessenheit geratenen Verstorbenen organisieren. «Es ist wichtig, dass die Bürgerinnen und Bürger auf kollektiver Ebene geehrt werden, denn nur so können wir eine würdige Gesellschaft schaffen», sagt die Genfer Stadtpräsidentin Christina Kitsos.