Eine halbe Million Menschen fluteten am 14. Juni 2019 die Strassen vieler Schweizer Städte und Dörfer, um für die Sache der Frau einzustehen. Ein knappes Jahr ist seither vergangen. Konnte der Frauenstreik etwas bewegen in der Schweizer Politik oder hat die Coronakrise all die Forderungen und zaghaften Errungenschaften wieder vergessen gemacht?
Ein Gespräch über Schweizer Frauenrechte im Jahr 2020 mit der Luzerner Kantonsrichterin Vivian Fankhauser-Feitknecht, die sich seit Jahren für die Gleichstellung von Frau und Mann einsetzt. Unter anderem ist sie Vorstandsmitglied der Organisation «Alliance F», die sich aktiv für mehr Frauen in der Schweizer Politik stark macht.
SRF News: Sind Sie am Frauenstreik vor einem Jahr mitmarschiert?
Vivian Fankhauser: Nein, ich war auf einer Jassclub-Reise im Ausland und konnte deshalb nicht dabei sein. Mitgefiebert habe ich trotzdem – einfach per Internet. Ich muss aber auch sagen, der Streik war nie mein Ausdrucksmittel. Am ersten Frauenstreik im Jahr 1991 war ich zwar dabei, aber nur, weil ich an diesem Tag zufällig frei hatte.
Beim Streik wurden verschiedene Forderungen im Bereich der Gleichberechtigung gestellt. Was hat sich seither verändert?
Das ist schwierig zu sagen. Ein augenfälliger Wandel hat im Bundesparlament stattgefunden, da sitzen mittlerweile mehr Frauen als jemals zuvor. Das geht möglicherweise auf diesen Tag zurück. Diese Frauen sitzen nun im Parlament und können an neuen Gesetzen mitarbeiten. Das ist ganz wichtig. Die Parlamentarierinnen können sich aktiv für den Wandel einsetzen.
Diese Sichtweise mag auf das eidgenössische Parlament zutreffen. Richtet man den Blick aber in die Zentralschweiz, zeigt sich ein anderes Bild: Der Kanton Uri hat seit kurzem wieder eine reine Männerregierung, Luzern hat diese schon länger. Wo liegt das Problem?
Die Parteien haben es teilweise verschlafen, sich auf die Suche nach fähigen Frauen zu begeben. Es beginnt doch damit, wer für einen Posten aufgebaut und dann vorgeschlagen wird. Hier hilft eine Quote. Die Parteien sollten stärker unter Druck gesetzt werden, geeignete Kandidatinnen und Kandidaten zu finden und nicht immer an denselben Orten zu suchen. Aktuell sind die Männer einfach aktiver in der Politik. Sie sagen sich: «Ich will diesen Posten» und bewerben sich dafür. Viele Frauen wollen sich sicher sein, dass sie der Aufgabe gewachsen sind, bevor sie sich bewerben.
Die Urner Regierungsräte können die weiblichen Interessen nicht wirklich vertreten. Sie haben nicht das erlebt, was eine Frau erlebt.
Das ist das eine Problem. Auf der anderen Seite hätte die CVP Uri eine wirklich fähige Frau vorgeschlagen, doch in der Nomination entschied man sich gegen sie. Das Stimmvolk konnte schlussendlich gar keine Frau wählen. Das hat nun den Effekt, dass ich mich vom Regierungsrat nicht vertreten fühlen würde. Die Regierungsräte können schon sagen, dass sie auf die Anliegen der Frauen achten wollen. Ich will auch gar nicht abstreiten, dass sie es ernst meinen damit, doch diese Männer können die weiblichen Interessen nicht wirklich vertreten, weil sie nicht das erlebt haben, was eine Frau erlebt.
Die Anliegen des Frauenstreiks scheinen durch die Coronakrise weit in den Hintergrund gerückt. Schadet sie der Sache der Frau?
Das würde ich nicht behaupten. Die Krise hat uns doch auch vor Augen geführt, dass viele systemrelevante Berufe klassische schlecht bezahlte Frauenberufe sind – wie etwa in der Pflege oder dem Detailhandel. Forderungen, die Bedingungen zu verbessern, gibt es ja schon länger. Ich spreche etwa die Pflegeinitiative an, die unterwegs ist. Ich hatte den Eindruck, dass dieses Anliegen durch die Coronakrise im Parlament ein anderes Gewicht bekommen hat. Es könnte einen Schritt vorwärts gehen.
Das Gespräch führte Mirjam Breu.