Sie sind Rechtsprofessorinnen, Politologinnen oder Naturwissenschaftlerinnen. Sie haben Professuren inne, forschen auf ihrem Fachgebiet und geben ihr Wissen, das sie sich über Jahre oder gar Jahrzehnte angeeignet haben, weiter.
Frauen haben Expertise. Und doch wird ihnen diese regelmässig abgesprochen. Nicht auf einer inhaltlichen Ebene. Sondern, weil sie Frauen sind.
Als Expertin nicht akzeptiert
Bringen Frauen in den Medien ihr Wissen ein, fallen die Reaktionen häufig härter aus als bei ihren männlichen Kollegen. Dies war etwa während der Hochphase der Corona-Pandemie so und ist auch jetzt während des Kriegs in der Ukraine zu beobachten.
Es gilt zu betonen: Auch männlichen Experten schlägt nach Medienberichten oft ein rauer Wind entgegen. Das Geschlecht, das zeigen Hintergrundgespräche, spielt aber keine Rolle. Nicht ausgeklammert werden dürfen auch Personen, die sich im binären Geschlechtersystem nicht repräsentiert sehen oder Fachpersonen mit Migrationshintergrund.
Frauen werden immer noch ganz bestimmte Eigenschaften zugeschrieben.
Doch der frauenspezifische Aspekt fällt auf. Das sieht auch Sophie Mützel. Die Professorin für Soziologie mit Schwerpunkt Medien und Netzwerke an der Universität Luzern sagt: «Frauen werden immer noch ganz bestimmte Eigenschaften zugeschrieben.» Es gehe um Stereotypen, um Bilder im Kopf, die sagen: Frauen seien zwar gut im Organisieren und hätten sicher auch in den Familien eine wichtige Rolle. «Aber ihre Rolle als Expertin wird häufig nicht akzeptiert», erklärt Mützel.
«Damit Experten die Fakten durchgeben»
Für diesen Artikel wurden Hintergrundgespräche mit vielen Frauen geführt, die in den Medien Auskunft geben. Nicht alle wollen zitiert werden. Sarah Progin-Theuerkauf hat sich dafür entschieden. Seit 14 Jahren ist sie Professorin für Europarecht und europäisches Migrationsrecht, ihre Publikationsliste erstreckt sich über sieben Seiten, beinhaltet über 170 Beiträge.
Und doch diese Mail: «Gehen Sie an die Front. Damit die Experten Ihnen die Fakten und den Tarif durchgeben.» Mit «Front» ist wohl die Aussengrenze des Schengenraums gemeint, auf weitere sexistische Ausführungen wird an dieser Stelle verzichtet. Für Progin-Theuerkauf ist das kein Einzelfall. Sie sagt: «Es kommt durchaus vor, dass ich nach Interviews Drohmails erhalte.» Nicht immer verbinde sie diese mit ihrem Geschlecht.
Auch Völkerrechtsprofessorin Anna Petrig von der Universität Basel erhält negative Rückmeldungen. Sie sagt: «Ein Mann hat mir nach der Veröffentlichung eines Beitrags während drei Stunden in der Nacht im 20-Minuten-Abstand Mails geschrieben.» Dabei wurde sie auch als «Hausmutti» bezeichnet; Petrig wurde also auf ihr Geschlecht reduziert, wodurch ihre Expertise abgewertet wurde.
Frauen sind Vorbilder
Was muss geschehen, damit sich diese Vorurteile ändern? Sophie Mützel sagt: «Es geht vor allem um Rollenvorbilder.» Das bedeutet, dass Frauen als Expertinnen sichtbar gemacht werden. So werden andere Frauen ermutigt, sich der eigenen Fähigkeiten mehr bewusst zu werden und mehr als Expertin in Erscheinung zu treten, womit sich schliesslich die Vorurteile ändern würden.
Hier blickt Mützel positiv in die Zukunft. «Insbesondere die jüngere Generation hat ein anderes Rollenverständnis», sagt sie. Man brauche nun noch etwas Geduld und die richtigen politischen Massnahmen. «Dann wird es selbstverständlich werden, dass Expertise geschlechtsunabhängig ist», sagt die Soziologin.
Medienberichte und Studien zum Thema
- Amnesty International: Toxic Twitter – The Silencing Effect Amnesty International: Toxic Twitter – The Silencing Effect
- Universität Zürich: Darstellung von Frauen in der Berichterstattung Schweizer Medien Universität Zürich: Darstellung von Frauen in der Berichterstattung Schweizer Medien
- Tages-Anzeiger: Hass im Internet an Expertinnen während Corona Tages-Anzeiger: Hass im Internet an Expertinnen während Corona
- Die Zeit: Wenn Frauen den Krieg erklären Die Zeit: Wenn Frauen den Krieg erklären
- Migros-Magazin: «Frauen werden angegriffen, weil sie Frauen sind» Migros-Magazin: «Frauen werden angegriffen, weil sie Frauen sind»