«Singt, wie wenn ihr Kurdisch könntet!», motiviert Chorleiterin Selina Maria Batliner ihre Gruppe. Heute ist die ausgebildete Sängerin streng. Denn es ist die letzte Probe vor einem Auftritt im Berner Rathaus.
Im Halbkreis steht die Uganderin neben dem Schweizer, der Kurde neben der Türkin. Feyza Magden singt mit, seit sie vor zehn Monaten mit ihrer Familie in die Asylunterkunft gekommen ist. «Dank der Musik treffe ich hier Freunde. Selina, Olivia, Annemarie», erzählt die Türkin in gebrochenem Deutsch. Der Interkulturelle Chor Worb existiert seit rund einem Jahr.
In der Türkei hat Magden als Lehrerin gearbeitet. Sie sei politisch verfolgt worden, erzählt sie. Nun wartet sie auf den Asylentscheid. Sie ist nervös wegen des bevorstehenden Konzerts. «Es ist das erste Mal für mich.» Und das gleich im Rathaus Bern, vor Politprominenz. Das Repertoire des Chors reicht von iranischen Volksliedern bis zu Patent Ochsner.
Die Musik heilt Wunden
Winnifred Naggayi ist entspannter. Die Uganderin war schon früher im Kirchenchor aktiv. Berndeutsche Lieder schrecken Naggayi nicht ab: «Auch eine Sprache, die man nicht spricht, kann man Singen.» Naggayi erzählt, sie sei in Uganda bedroht worden, weil sie homosexuelle Flüchtlinge unterstützt habe. Nun ist sie selbst eine Geflüchtete.
Der Chor helfe ihr, den Alltag hinter sich zu lassen, sagt Naggayi: «Wir sind hier alle eine Familie.» Dazu gehört auch der Worber David Billeter. Er hat im Dorfblatt vom Chor erfahren. «Es war mir wichtig, mit den Menschen im Asylzentrum in Kontakt zu kommen.» Im Dorf nahm Billeter die Asylsuchenden als anonyme Masse wahr. Nun könne er auch mal jemanden grüssen und ein Schwätzchen halten.
Der Interkulturelle Chor ist ein Projekt von Kirche, Rotem Kreuz und dem Verein Musikvermittlung Schweiz. Geprobt wird wöchentlich in der Asylunterkunft etwas ausserhalb von Worb.
Während der Probe wird gescherzt und gelacht, auch wenn es bald ernst gilt. Chorleiterin Batliner sorgt mit Spielen und Tanz für eine gelöste Atmosphäre. Inmitten der multikulturellen Truppe musste auch sie lernen, spontaner zu sein. Nicht immer sind Zusagen so verlässlich, wie in der Schweiz üblich: «Manchmal weiss ich noch am Tag vor dem Konzert nicht, wie viele Chormitglieder kommen werden.»
Manchmal müssen Chormitglieder gehen
Ein andermal lernte Batliner mit dem Chor ein Lied in einer afrikanischen Sprache, doch dann musste das Chormitglied, welches das Lied eingebracht hatte, das Asylzentrum verlassen. Die unsichere Zukunft ist für viele Asylsuchende eine mentale Belastung. Das spürt auch die Uganderin Naggayi. Doch sie betont: «Die Musik kann Wunden heilen.»
Diesmal aber sind alle zum Auftritt im Berner Rathaus gekommen. Der Interkulturelle Chor eröffnet die Nacht der Religionen – singend, klatschend, lachend. Sogar Berns Regierungspräsidentin Evi Allemann tanzt in der ersten Reihe mit.
Nach dem Auftritt bringt Feyza Magden das Strahlen nicht mehr aus dem Gesicht: «Es war so schön, ich bin sehr glücklich!» Sie hoffe, die Welt werde mit dem Gesang etwas besser. Für einen Lichtblick im Alltag reicht es auf jeden Fall.