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Eurovision Song Contest Diese Formel gewinnt den ESC

Wie schnell muss ein Sieger-Song sein? In welcher Sprache und Tonart wird am erfolgreichsten gesungen? Gibt es die ideale Song-Länge oder die erfolgreichste Stilrichtung? Und was hat es mit dem «Happiness-Faktor» auf sich?

Um diese Fragen zu beantworten, analysieren wir sämtliche Sieger-Songs seit 2000 – und suchen nach der ESC-Sieger-Formel.

Warum nur Songs seit 2000?

Ein Vergleich mit Siegertiteln aus den 50er-, 70er- oder 80er-Jahren wäre nicht aussagekräftig. Damals gelten andere Produktionsstandards, stilistische Anforderungen und musikalische Trends. Oder wie es der SRF Eurovision-Experte Eric Dauer ausdrückt:

Zeiten ändern sich. Wir laufen auch nicht mehr mit Schulterpolstern und Föhnwelle durch die Gegend oder kleiden unsere Küchen mit orange-braunen Kacheln aus.
Autor: Eric Dauer SRF ESC-Experte

Hinzu kommt, dass sich der ESC über die Jahre stets wandelt. Eric Dauer: «Früher war der ESC ein reiner Gesangswettbewerb. Ein «Concours Eurovision de la Chanson». Entsprechend der damaligen Gepflogenheiten treten die Damen und Herren adrett gekleidet und frisiert in renommierten Kursälen auf.»

Ein weiteres Beispiel dafür, wie schwierig es ist, frühere Ausgaben mit heute zu vergleichen:

Seit Céline Dion 1988 mit «Ne Partez Pas Sans Moi» den letzten Schweizer Sieg holt, gewinnt kein einziges Chanson mehr den Eurovision Song Contest. Schade für die Schweiz, holt sie doch ihre beiden Siege in dieser Stilrichtung. Lys Assia gewinnt 1956 mit dem Chanson «Refrain» den allerersten Eurovision Song Contest.

Mehr Zuschauer als der Super Bowl

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Mit rund 180 Millionen Zuschauerinnen zählt der Eurovision Song Contest zu den meistgeschauten Live-Shows der Welt und überflügelt dabei gar den Super Bowl (113 Millionen Zuschauer) oder die Oscar-Verleihung (18.5 Millionen Zuschauer).

Bereits die Teilnahme am ESC garantiert globale Aufmerksamkeit. Ein Beispiel: Die drei meistgeschauten Videos des Schweizer Sängers Marius Bear zählen zusammen 3.5 Millionen Aufrufe – alles Versionen seins ESC-Songs «Boys Do Cry» von 2022.

Ein Sieg beim Eurovision Song Contest ist bestenfalls der Katalysator für eine Weltkarriere. So geschehen bei Abba, Céline Dion oder kürzlich bei der Italienischen Rockband Måneskin.

Melancholische Songs auf dem Vormarsch

In den 00er-Jahren gelangt der Eurovision Song Contest durch zahlreiche Teilnahmen sogenannter «Troll-Acts» in Verruf. Diese Acts sind nie ernsthaft daran interessiert, zu gewinnen, fördern aber den Ruf als «Trash-Veranstaltung». In den letzten 12 Jahren hat sich das wieder geändert. Zwar findet man jährlich noch solche, nicht ganz ernst gemeinten Teilnehmer im Feld – diese gewinnen aber nie.

Was wohl auch mit der aktuellen Popmusik sowie dem generellen Weltgeschehen der letzten zehn Jahre zu tun hat, welche beide etwas schwerer und düsterer sind. Die Sieger-Songs der letzten zehn Jahre sind entsprechend trauriger, melancholischer oder wütender. Das zeigt sich auch in Zahlen:

Wie lautet denn nun die Siegerformel?

Natürlich garantiert keine Formel den Sieg am Eurovision Song Contest. Geopolitische Verhältnisse, Trends, Zulosungen der Halbfinals sowie die Tagesform der Künstlerinnen haben einen grossen Einfluss. Dennoch haben nüchtern betrachtet die Songs mit folgenden Parametern die höchste Gewinnchance:

  • Melancholischer, energetischer Popsong
  • Tonart: Moll
  • Geschwindigkeit: 123 BPM
  • Songlänge im Original: 3:04 Minuten
  • Sprache: Englisch

Einer dieser Songs, der bis auf die etwas zu hohe Geschwindigkeit alle Parameter erfüllt:

Loreen, die schwedische Gewinnerin von 2012, welche mit ihrem Song «Tattoo» aktuell bei sämtlichen Wettbüros den ersten Platz belegt.

Wenn das mal kein Zufall ist...

ESC-Experte Eric Dauer erklärt die Eigenheiten des Song Contests.

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Legende: ESC-Experte SRF

Eric Dauer, Hand aufs Herz: Am Eurovision Song Contest gewinnt doch nur trashiger Dance-Pop.

Natürlich gibt es eine verrückte Netta (Israel 2018), die sich mit ihrem «Crazy Look» und einer Sampling Maschine wortwörtlich bis an die Spitze hoch gackert (im Song gackert sie tatsächlich wie ein Huhn). Kein Wunder, stufen böse Zungen eine solche Performance als trashigen Dance Pop ein. Wer aber meint, dass nur dieses Genre zelebriert wird, liegt komplett daneben – denn es gibt auch die ganz ruhigen, berührenden Momente. 

Erinnern wir uns an Salvador Sobral (Portugal 2017). Ein schmächtiger, junger Mann, bei dem man zuerst denkt, er habe sich auf die grosse Bühne verirrt. Dann aber legt er los. Man spürt förmlich, wie er die Zeilen seines Fado-inspirierten Lieds mit jeder Faser seines Körpers ein - und ausatmet. Das Publikum ist hin und weg und katapultiert ihn aufs Siegerpodest. 

Auch Duncan Laurence (Holland 2019), einer der erfolgreichsten ESC-Sieger der letzten Jahre, fährt nicht mit Windmaschine, Glitzerhemd und leichtbekleideten Tänzerinnen auf. Sein «Arcade» brilliert allein dank seiner Stimme und dem Fokus auf ihn am Klavier – ganz dezent in Schwarz gehüllt wohlgemerkt.

So gesehen trifft das Vorurteil des trashigen Pop-Songs nicht generell zu. Abgesehen davon: Auch guter Trash hat seine Berechtigung und wird beim ESC entsprechend abgefeiert.

Gibt es denn eine Siegerformel für den ESC?

Wenn ich sie wüsste, würde ich mir damit eine goldene Nase verdienen. Ich sage immer: Es braucht eine Kombination aus Stimme, Staging und Song. Hinzu kommen eine grosse Portion Charisma, der Sympathiewert und die richtige Message zum richtigen Zeitpunkt.

Warum können ESC-Ausgaben aus den 60ern/70ern/80ern nicht mehr mit den heutigen verglichen werden?

Weil sich die Zeiten ändern. Wir laufen auch nicht mehr mit Schulterpolstern und Föhnwelle durch die Gegend oder kleiden unsere Küchen mit orange-braunen Kacheln aus.

Früher war der ESC ein reiner Gesangswettbewerb. Ein «Concours Eurovision de la Chanson». Entsprechend der damaligen Gepflogenheiten, traten die Damen und Herren adrett gekleidet und frisiert in renommierten Kursälen auf. Das Publikum war überschaubar, die Darbietungen zurückhaltend und bieder. 

Das änderte sich erst mit «Waterloo» von ABBA (1974). Die vier Schweden mit ihren ausgeflippten Kostümen und ihrer lebhaften Show sorgten wortwörtlich für eine Zeitenwende des ESC. 

Seither wird das Staging und die Performance genauso gewichtet wie der Song selber. 

Heutzutage gilt das noch viel mehr. Mittlerweile füllt der ESC Stadien mit einem Fassungsvermögen von über 20'000 Fans – sowohl an den Halbfinals als auch dem Finale selber. 

Als eine Lys Assia oder eine Paola in den 50er- / 60er-Jahren zum Mikrofon griffen, war ihr Auftritt noch mehr oder weniger spontan. Das wäre heute ein Ding der Unmöglichkeit. Die Proben vor den eigentlichen Shows ziehen sich über Wochen hin.

Haben die vielen ähnlichen Song-Eingaben am ESC nicht auch damit zu tun, dass immer wieder dieselben Songwriter für verschiedenste Länder ESC-Songs schreiben?

Du sprichst gewiss auf die Taktik gewisser Länder an, sich bei Songwritern aus Schweden zu bedienen. Diese «Ikea-Songs» – diese Bezeichnung ist übrigens nicht meine Erfindung – sind gefällig und versprechen Erfolg. Grundsätzlich gibt es Akkordfolgen, die besonders ins Ohr gehen. Diese werden daher auch gerne immer wieder aufgegriffen. Das ist aber kein Novum. So war es schon zu Zeiten von Mozart und Co.

Was machen die Schweden also besser als andere?  Ich denke, es liegt an ihrer ESC-Kultur, der intensiven musikalischen Nachwuchsförderung und nicht zuletzt dem gewissen «Gschpüri», was angesagt ist. Bereits das schwedische Auswahlverfahren für den ESC ist knallhart und stösst auf grosses Interesse der Bevölkerung.

Man orientiert sich an den Charts, dem aktuell populären Sound und macht sich auch intensiv Gedanken darüber, eine eindrückliche Stage-Performance für die Künstlerin oder den Künstler zu entwerfen. Gerade dieses Jahr schickt Schweden beispielsweise ihre ehemalige ESC-Siegerin Loreen an den Start. Sie gilt bereits jetzt als Topfavoritin der Wettbüros.

Dennoch möchte ich festhalten, dass der ESC nie eintönig klingt. Vom tanzbaren Bum-Bum-Song bis zum Heavy-Metal-Kracher ist auch dieses Jahr wieder die ganze Palette vorhanden. Ein Kessel Buntes sozusagen, und genau da kommt doch so richtig Freude auf.

Braucht es geopolitische Hilfe und Wohlwollen, um den ESC gewinnen?

Gewisse Sympathien lassen sich nicht abstreiten. Der ewige Renner bleibt Griechenland – Zypern, die sich alljährlich gegenseitig 12 Punkte zuschieben. Aufs Endergebnis hat dies allerdings wenig bis gar keinen Einfluss.

Klare politische Messages werden beim ESC nicht toleriert. Der Sieg des ukrainischen Beitrags letztes Jahr muss meiner Meinung nach speziell gewichtet werden. Klar ist, dass der Song vordergründig keine politische Aussage macht. Somit sind die ESC-Kriterien schon einmal erfüllt. 

Das Publikum versteht dennoch, um was es eigentlich geht. Den Sieg des Kalush Orchestras sehe ich deshalb durchaus als politisches Statement. Ohne den Krieg als Background hätte es «Stefania» wohl nicht bis an die Spitze geschafft. 
Dennoch darf man auch hier behaupten: Der Song ist an und für sich gut, die Darbietung war berührend und die Message traf genau den Nerv der Zeit.

Eric Dauer ist Moderator bei SRF Musikwelle und ESC-Experte.

Impressum

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Legende: Symbolbild/Midjourney

Dominique Marcel Iten (Redaktion), Fabian Schwander (Frontend-Entwicklung), Ulrich Krüger ( Design), Dano Tamásy (Recherche)

Bildnachweis Titelbild: Midjourney (KI / verwendeter Prompt: «Eurovision song contest, singer, amazing dress, bright lights, big stage, portrait, kodak d890, --ar 16:9 --v 5.1 --q 2 --s 250»)

Video
Archiv: Nemo gewinnt den ESC für die Schweiz
Aus SRF News Videos vom 12.05.2024.
abspielen. Laufzeit 1 Minute 20 Sekunden.

SRF 2, 09.05.2023, 20:10 Uhr ; 

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