Schon lange will ich eine schwarze Lederjacke – wie meine Rap-Vorbilder sie tragen. In Paris werde ich fündig und schlage sofort zu, allerdings mit einem schlechten Gewissen. Denn aus Tierliebe ernähre ich mich vegetarisch. Leder tragen, habe ich mir beim Kauf gesagt, ist okay, da das Material ein Abfallprodukt der Fleischindustrie ist. Oder täusche ich mich?
Dass viele Menschen Schuhe, Gürtel oder Jacken aus Leder tragen und in ihren Autos auf Ledersitzen Platz nehmen, scheint vielen kaum bewusst zu sein, als ich sie auf der Strasse darauf anspreche. Einige wollen sich gleich erklären, deklarieren ihr Lederstück als Fake oder Vintage. Ich bin wohl nicht der Einzige, der bei Leder gemischte Gefühle hat. Dass ein Tier dafür sterben muss, ist klar. Doch wie wird Tierhaut zu Leder?
Am nächsten Tag stehe ich vor der Gerberei «Südleder» im deutschen Rehau. Jährlich wird hier eine Million Rinderhäute verarbeitet. Kundschaft aus Automobil- sowie Möbelbranche bestellt hier. Selten wird das Leder noch für Kleider oder Schuhe verwendet. Das kommt meist aus Ländern wie China oder Indien.
Ein beissender Geruch aus rohem Fleisch und Chemikalien kommt mir entgegen. Er erinnert mich an den Schlachthof, den ich einst besucht habe.
Der Anblick eines Lastwagens mit 25 Tonnen frischer Rinderhaut ist gewöhnungsbedürftig. Blut, Fleischreste, Fell, Tierkot. Attribute, welche mit meiner Lederjacke nicht viel gemeinsam haben.
Betriebsleiter Stephan Doerr weiss zwar, woher die Tierhäute stammen (das meiste aus Deutschland und der Rest aus anderen europäischen Ländern). Aber: «Auf die Haltung der Tiere haben wir als Gerberei keinen Einfluss.»
Bis die Haut zu Leder wird, durchläuft sie viele Stationen: In grossen, Waschmaschine-ähnlichen Fässern werden die Häute gewaschen und enthaart. Durch viele Hände, Fässer, Trocknungsräume und Maschinen geht das Stück, bis es gegerbt und gefärbt ist.
Kein Tier auf der Welt wird nur wegen des Leders geschlachtet.
Insgesamt 400 Chemikalien werden in der Gerberei unter strengen Auflagen verwendet. Trotzdem sei Leder natürlich und nachhaltig, sagt Doerr, aufgrund langer Verwendbarkeit und weil es ein Abfallprodukt sei.
Die Problemliste ist lang
Nach dem Gerbereibesuch bin ich ratlos. Warum hat Leder trotzdem ein Imageproblem? Die Schattenseiten kennt Rebecca Cappelli. Die Tieraktivistin realisierte vergangenes Jahr den Dokumentarfilm «Slay» und besuchte dafür Produktionsstätten, Schlachthöfe und Gerbereien auf der ganzen Welt. Er zeigt eine Lederproduktion, die so gar nicht meinem Bild aus der Gerberei in Deutschland entspricht.
«Leder hat enorm schlechte Auswirkungen auf die Umwelt», sagt sie. Der enorme Wasserverbrauch und chemisch intensive Gerbungsprozess sei das eine. Das Problem sei aber auch, dass in Billigproduktionsländern ganz andere Arbeitsbedingungen und Richtlinien zum Schutz für Tier und Umwelt herrschten. «Menschen klagten über verschmutztes Trinkwasser und gesundheitliche Probleme wegen ihrer Arbeit.»
Das meiste Leder entsteht unter miserablen Arbeitsbedingungen und Richtlinien zum Schutz für Tier und Umwelt.
Anders als Stephan Doerr sieht sie Leder nicht als Abfallprodukt, sondern als bewusste Einnahmequelle: «Damit wird klar gerechnet. Da steckt viel Geld drin», sagt Cappelli.
Vom Bild meiner Lederjacke als einstige Rinderhaut kann ich mich nur schwer lösen. Ausser Vintage landet kein Leder mehr in meinem Kleiderschrank.