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Gender-Streit um Boxerin Khelif
Aus 10 vor 10 vom 02.08.2024.
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Olympia-Boxen Die Debatte um Intergeschlechtlichkeit geht in die nächste Runde

Die Box-Wettbewerbe bei den Sommerspielen in Paris werden von einer heftigen Diskussion über angeblich zu männliche Boxerinnen überschattet. Das IOC sieht die heikle Frage nach dem Geschlecht als «Minenfeld». Die Hintergründe.

Darum geht es: Im Jahr 2023 hat der Box-Weltverband IBA die Algerierin Imane Khelif und Lin Yuting aus Taiwan bei der WM disqualifiziert, weil sie einen Geschlechtstest nicht bestanden hatten. Allerdings erkennt das Internationale Olympische Komitee (IOC) die IBA nach zahlreichen Skandalen nicht mehr an. Für das IOC steht fest: Khelif und Lin sind Frauen, der Ausschluss durch die IBA ist eine «willkürliche Entscheidung», wie IOC-Sprecher Mark Adams sagte. Diese Diskussion sei «ein Minenfeld», die Athletinnen könnten seelische Schäden erleiden. 

Zwei Boxer im Kampf, einer in roter Ausrüstung, der andere in blauer.
Legende: Imane Khelif (links) und Angela Carini (rechts) während des Vorkampfes im Achtelfinale bei den Olympischen Spielen Paris 2024. Imago/Eliot Blondet/Abaca

Das ist passiert: Die Diskussionen um die beiden Teilnehmerinnen laufen seit Beginn der Spiele und wurden durch den Kampf zwischen Khelif und der Italienerin Angela Carini erneut befeuert. Beim Kampf zwischen Khelif und Carini am Donnerstag gab Carini nach 46 Sekunden auf, verweigerte Khelif den Handschlag und klagte anschliessend über «starke Schmerzen». Inzwischen hat sich Carini auch zur Debatte geäussert. «Wenn sie nach Meinung des IOC kämpfen darf, respektiere ich diese Entscheidung», sagte die 25-Jährige der «Gazzetta dello Sport».

Stimmen aus der Politik plädieren für «gleichberechtigten Kampf»

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Giorgia Meloni mischte sich in die Diskussion ein, Donald Trump auch. Und das IOC hatte endgültig die Kontrolle verloren. «Aus meiner Sicht war das kein gleichberechtigter Wettkampf», sagte Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni am Donnerstag in Paris, wo sie Carini nach dem Abbruch des Spiels tröstete. Am Freitag traf Meloni mit IOC-Präsident Thomas Bach zusammen und beide kamen überein, dass die italienische Regierung und das IOC in Kontakt blieben, um zu evaluieren, wie man das Problem in Zukunft angehen könne.

So argumentiert das IOC: Seit Tagen versucht Sprecher Mark Adams, das Thema einzufangen. Vergeblich. Khelif und Lin seien Frauen, das stehe in ihrem Pass, sagte Adams, sie kämpfen seit Jahren im Frauenboxen, Khelif auch in Tokio, wo sie Fünfte wurde. Das IOC ist überzeugt, die IBA sei schuld an der «aktuellen Aggression» gegen die beiden Boxerinnen. Die Entscheidung zum Ausschluss von der WM 2023 sei von zwei Personen aus der IBA-Führung getroffen worden, ohne Verfahren und wissenschaftliche Erkenntnisse.

Das sagt die IBA: Wenig. In Paris ist der Verband nach dem Ausschluss durch das IOC nicht vertreten, zur Aufklärung trägt er kaum bei. In einer Stellungnahme teilte der Boxverband mit: «Die Athletinnen wurden keiner Testosteron-Untersuchung unterzogen, sondern einem gesonderten und anerkannten Test, dessen Einzelheiten vertraulich bleiben.» Zuvor wurde von einem DNA-Test gesprochen. «Die unterschiedlichen Regeln des IOC zu diesem Thema, an denen die IBA nicht beteiligt ist, werfen ernste Fragen sowohl hinsichtlich der Fairness der Wettkämpfe als auch der Sicherheit der Athleten auf», schreibt der Verband.

Unterschiedliche Zulassungskriterien

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Der Boxverband IBA hat Khelif bei der WM 2023 nicht zugelassen. Jetzt ist sie aber bei den Olympischen Spielen dabei. «Diese Entscheidung beruhte auf einer unterschiedlichen Annahme, wie Geschlechterdifferenz festzustellen sei», sagt die Historikerin Sandra Klos, die zu diesem Thema forschte. Der IBA habe einen Test durchgeführt, der die Geschlechterdifferenz aufgrund von Chromosomen feststellen wollte. Dieser ist vom IOC nicht anerkannt.

«Geschlechtertests werden seit den 1950ern durchgeführt. Vor dieser Zeit wissen wir nichts darüber, wer in welchen Kategorien angetreten ist und aufgrund welcher Merkmale die Einteilung in die jeweiligen Kategorien erfolgte», so die Historikerin. Jüngst gerieten diese Tests wieder in Kritik. «Man könnte nach Chromosomen, Hormonen oder sekundären Geschlechtsmerkmalen fragen. Diese erlauben jedoch nur ein schwammiges Bild der Realität.» Klos ist überzeugt, dass Intergeschlechtlichkeit und Transidentitäten ein Spektrum seien. «Darum ist die Realität komplexer als in diesen Wettbewerbskategorien.»

Das sagen die Athletinnen: Khelif und Lin haben sich bereits vor Olympia 2024 zu den Anschuldigungen geäussert. 2023 erklärte Khelif, ihr sei gesagt worden, sie habe «Eigenschaften, die es ihr unmöglich machen, mit Frauen zu boxen», und sie sei überzeugt, Opfer einer «grossen Verschwörung» zu sein. Lin führt die Diskussion um ihr Geschlecht auf ihre Körpergrösse und ihre kurzen Haare zurück. «Wenn ich lange Haare tragen würde, müsste ich zu viel Zeit damit verbringen, sie zu pflegen», sagte sie CNA, einer Nachrichtenagentur in Taiwan.

Abgrenzung Männer- und Frauendisziplin – kann das fair sein?

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Laut Historikerin Klos – sie hat ihre Abschlussarbeit zur Darstellung von Männlichkeit und Moderne im Kontext der modernen Olympischen Spiele geschrieben – ist entscheidend, dass ein Wettkampf unter fairen Bedingungen zustande kommen kann. Um diese Bedingungen zu schaffen, würden die Teilnehmenden in verschiedene Kategorien eingeteilt. Anstatt der Geschlechterklassen gäbe es dann beispielsweise Gewichtsklassen, wie etwa im Judo. Aus diesem Grund seien Fachverbände relevant: «Nur sie können letztendlich entscheiden, wo Fairness aufhört und wo sie beginnt.»

Monika Hofmann, Geschlechterforscherin der Universität Bern, gibt zu bedenken, dass keine Person die exakt gleichen Voraussetzungen habe, wie eine andere. So habe etwa auch der beste Olympionike im Schwimmen, Michael Phelps, eindeutig bessere körperliche Voraussetzungen als andere. «Doch das wird nicht thematisiert. Und wenn eine Frau einen höheren Testosteronwert hat, wird das grad thematisiert und fälschlicherweise noch in Transgeschichten gewoben. Das finde ich problematisch.»

Darum geht die Debatte über den Sport hinaus: Die Historikerin Sandra Klos hat ihre Abschlussarbeit zur Darstellung von Männlichkeit und Moderne im Kontext der modernen Olympischen Spiele geschrieben. Ihr zufolge geht es nicht nur um einen Boxwettkampf, sondern um breitere Fragen der sportlichen Fairness und der Geschlechtertrennung. «Wie ist der Unterschied zwischen Mann und Frau definiert? Gibt es eine solche Geschlechterbinarität überhaupt?» Fragen, die emotionalisierten.

Audio
Olympia: Boxkampf wirft Geschlechterfragen auf
aus SRF 4 News vom 02.08.2024. Bild: Keystone SDA
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SRF 4 News, 02.08.2024, 16:45 Uhr ; 

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