These 1: Es kommt ja eh niemand an die Gemeindeversammlung. Stimmt zum Teil, sagt die am Dienstag publizierte Studie des Zentrums für Demokratie Aarau. Die Stimmbeteiligung schwankt zwischen mageren 0,8 und hohen 44,7 Prozent. «Bei grossen Geschäften kommen mehr Leute», sagt Studienleiter und Politologe Philippe Rochat gegenüber SRF. «Zum Beispiel bei Bauvorhaben oder wenn es um eine neue Nutzungsplanung geht.»
Rochat hat den Überblick: Er hat die Protokolle von 1600 Gemeindeversammlungen im Aargau ausgewertet, aus den Jahren 2013 bis 2016. Dabei hat er insgesamt rund 11'000 Beschlüsse angeschaut.
These 2: Einzelne Gruppierungen oder Vereine haben viel zu viel Einfluss. In Muhen hatte die Gemeindeversammlung einen neuen Fussballplatz mit Kunstrasen für knapp vier Millionen Franken bewilligt. Später haben Einwohner das Referendum ergriffen und behauptet, der Fussballclub habe an der Gemeindeversammlung mit einem «Grossaufgebot» dieses Resultat erwirkt. An der Urne scheiterte das Geschäft.
Man spreche in solchen Fällen gerne von «Turnverein-Demokratie», sagt Politologe Rochat. Aber die meisten Entscheide werden breit akzeptiert, zeigt nun die Studie. Nur gerade bei 0,7 Prozent der Geschäfte gibt es im Anschluss ein Referendum. «Ein so grosses Problem scheint es insgesamt nicht zu sein.»
These 3: Man kann gar nicht frei entscheiden an einer Versammlung. Wer an einem Tisch sitzt mit anderen Bürgerinnen und Bürgern aus dem Dorf, der getraut sich nicht, seine Meinung zu sagen – so eine oft gehörte Kritik an der offenen Abstimmung per Handerheben. Doch auch hier widerspricht die Studie des Aarauer Zentrums für Demokratie.
Obwohl man an jeder Versammlung im Aargau eine geheime Abstimmung verlangen kann, passiert das äusserst selten. Bei nicht einmal 0,4 Prozent der Beschlüsse gibt es einen Antrag auf geheime Abstimmung. In nur 0,1 Prozent der Fälle wird dann auch tatsächlich geheim abgestimmt. «Das ist schon erstaunlich», kommentiert Philippe Rochat das Ergebnis seiner Studie.
Offensichtlich ist es bei den Stimmberechtigten kein grosses Thema.
These 4: Es wird viel zu viel geredet. Die Studie sagt das Gegenteil: Es wird kaum geredet an den Versammlungen – jedenfalls nicht von den Teilnehmenden. Bei der Hälfte aller Gemeindeversammlungen gibt es weniger als sechs Wortmeldungen aus dem Publikum. Nur 1,6 Prozent aller Geschäfte werden mit Anträgen erweitert oder ergänzt.
Die meisten Wortmeldungen seien sowieso Fragen, sagt Philippe Rochat. Er sieht darin den grossen Vorteil von Gemeindeversammlungen: «Die Versammlungsleiter können direkt auf Fragen und Kritik reagieren und komplizierte Geschäfte gut erklären.»
Zum Fazit: Ist die Gemeindeversammlung also die beste Form der Demokratie? In grossen Gemeinden sei die Stimmbeteiligung sehr tief und die Zahl der Anträge und Wortmeldungen steige, erklärt Philippe Rochat. Seine Folgerung: Wenn Konflikte in grösseren Gemeinden effizient gelöst werden sollen, dann könnte ein Gemeindeparlament doch besser funktionieren als die Gemeindeversammlung.
Die Studie im Detail
Grundsätzlich findet Rochat, dass die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger darüber entscheiden sollen, welche Art der Demokratie zu ihrer Gemeinde passt, ob Parlament oder Versammlung. Klar ist aber gemäss dieser relativ aufwändigen Studie: Die Gemeindeversammlung ist besser als ihr Ruf in bestimmten Kreisen.