Heute vor 100 Jahren wurde Evita Perón geboren. In ihrem Heimatland Argentinien ist die ehemalige First Lady ein Mythos, eine Quasi-Heilige. Doch Politologin Carolina Barry sagt: Wichtige Facetten werden ausgeblendet.
SRF News: Warum ist Evita weltweit so berühmt geworden?
Carolina Barry: Es ist eine Geschichte wie die von Aschenputtel: Ein armes, hübsches Mädchen aus bescheidenen Verhältnissen heiratet den wichtigsten Militär des Landes, der dann Präsident wird. Das Paar widmete sich sozialen Themen, die bisher nie auf einer Regierungs-Agenda gestanden hatten. Dazu kam eine unbürokratische Unterstützung armer Sektoren durch Evita. Schon zu Lebzeiten wurde sie zur Ikone und bekam Beinamen wie «die gute Fee» oder «Santa Evita». Auch nach ihrem Tod schrieben ihr die Menschen noch Briefe. Es gab sogar Bemühungen, den Vatikan zu überzeugen, sie heilig zu sprechen.
Was war damals neu an ihrer Figur?
Sie hat die Rolle der First Ladies weltweit neu definiert. Seit Evita müssen Präsidentengattinnen eine Haltung haben. Und seit Evita konnte keine Regierung mehr in Argentinien die Armen völlig ignorieren.
Man muss auch den zeitlichen Kontext im Auge haben: In den 1940er-Jahren war es nicht schicklich, wenn eine Frau sich politisch engagierte. Sie teilte sich die Präsidentschaft mit ihrem Mann – obwohl sie keine feste Rolle in der Regierungsstruktur hatte. Und sie motivierte tausende von Frauen, sich politisch zu engagieren. Auch nach ihrem Tod schrieben ihr die Menschen noch Briefe. Es gab sogar Bemühungen, den Vatikan zu überzeugen, sie heilig zu sprechen.
Für was steht Evita heute?
Vertreter aller politischen Richtungen bedienen sich gerne ihrer Figur, wollen sie für sich vereinnahmen. Doch die Figur Evita steht längst über den Dingen. Akzeptiert wird allerdings nur die «gute Fee», die Wohltäterin. Viele kennen nur noch eine Light-Version von Evita.
Evita als politische Akteurin ist nicht zu 100 Prozent akzeptiert in der argentinischen Gesellschaft. Dass verschiedene Sektoren ihr Bild bemühen, liegt auch daran, dass wir nicht wissen, wofür sie heute stehen würde. Wäre sie für oder gegen Abtreibung? Wäre sie für oder gegen die Trennung von Kirche und Staat? Ihr Diskurs war konservativ, es war derjenige der Kirche. Doch sie setzte sich auch für Frauenrechte ein, etwa für das Wahlrecht (Anm.: In Argentinien können Frauen seit 1947 wählen) .
Evita hatte mehr Macht als viele Minister oder Gouverneure.
Warum ist ihr Mythos bis heute so stark?
Evita starb im Alter von 33 Jahren – viel zu jung, aber genau zum richtigen Zeitpunkt, um von den meisten Argentiniern mit positiven Erinnerungen verknüpft zu werden. Nach ihrem Tod begannen die wirtschaftlichen Probleme des Landes und andere Konflikte. Die Zeit der ersten Regierung von Perón, in der Evita an seiner Seite regierte, verknüpfen jedoch viele mit Erinnerungen an Neuerungen wie Weihnachtsgeld oder Aufenthalte in Ferienheimen.
Weshalb ist Evita in Argentinien dann trotzdem umstritten?
Sie war Präsidentengattin, also nicht für ein öffentliches Amt gewählt. Und doch hatte sie mehr Macht als viele Minister oder Gouverneure. Es gab sogar ein Gesetzesprojekt, das auf sie zugeschnitten war. Dieses sollte Präsidentengattinnen viele der Tätigkeiten untersagen, die Evita ausgeübt hatte. Sie wurde auf internationalen Reisen wie eine Präsidentin empfangen und vertrat das Land, sie wurde mit den höchsten Ehren beerdigt, die sonst nur Präsidenten zustehen.
Das Gespräch führte Karen Naundorf.