Worum geht es? In Finnland ist in der Nacht auf Dienstag ein neues Atomkraftwerk ans Netz gegangen, Olkiluoto 3. Ein AKW mit langer Vorgeschichte: Der Bau wurde bereits 2002 beschlossen. Finnland war damals das erste Land in Europa, das nach der Katastrophe von Tschernobyl wieder ein neues AKW plante. Der Bau hat mehrere Regierungskrisen ausgelöst, umgerechnet 11 Milliarden Franken hat er gekostet. Die Fertigstellung dauerte 13 Jahre länger als geplant.
Wieso dauerte der Bau so lange? Insgesamt 19 Jahre dauerte es vom Baubeschluss bis zur Inbetriebnahme. «Dafür gibt es technische und politische Gründe», sagt Nordeuropa-Korrespondent Bruno Kaufmann. Einerseits sei das AKW ein Kraftwerk eines neuen Typs, ein sogenannter europäischer Druckwasserreaktor (EPR). «Andererseits war es so, dass der politische Druck auf die Sicherheit mit immer neuen Auflagen gross war. Deshalb konnte man nicht so schnell bauen, wie man wollte.»
Bis heute wird in Finnland Torf verbrannt, um Strom zu produzieren.
Warum setzt Finnland auf neue AKW? In vielen Ländern gilt die Atomtechnologie spätestens seit der Katastrophe von Fukushima als Auslaufmodell, doch nicht in Finnland. Das liege daran, dass dort die erneuerbaren Energiequellen sehr beschränkt sind, so Kaufmann. «Bis heute wird zum Beispiel Torf verbrannt, um Strom zu produzieren.»
Andererseits sei da die Nähe zu Russland. «Finnland war über Jahrzehnte abhängig von russischem Erdgas, hat dann aber seit den 70er Jahren in Zusammenarbeit mit dem grossen Nachbarn im Osten auf Atomkraft gesetzt.» Zudem gehe man in Finnland bei der Frage nach der Einhaltung der Klimaziele davon aus, dass neue AKW eine Lösung sein können.
Wie steht Finnlands Bevölkerung dazu? Vor allem zu Beginn, bei der Bewilligung des Baus, sei die Skepsis gross gewesen, so Kaufmann. Die Finninnen und Finnen seien aber pragmatische Menschen. «Jetzt, da das Kraftwerk gebaut und so viel Geld investiert worden ist, ist die Haltung zu diesem AKW eigentlich viel positiver als auch schon.» Nach neuesten Umfragen sehen gut 40 Prozent der Bevölkerung die Atomkraft positiv.
Nur etwa 20 Prozent sind dagegen. «Die Inbetriebnahme kommt auch gelegen», erklärt der Nordeuropa-Korrespondent. Das AKW werde rund 15 Prozent des Strombedarfs abdecken. «Das ist gerade jetzt, da die Strompreise in Nordeuropa hoch sind, eine willkommene Entwicklung.»
Was ist mit den radioaktiven Abfällen? «Auch hier hat Finnland vorwärtsgemacht», so Kaufmann. «Am Standort Olkiluoto im Südwesten des Landes baut man im Untergrund seit langem an einem Endlager für radioaktive Abfälle, und man hofft, dass es 2025 in Betrieb gehen kann.»
Die Abfälle sollen dort mindestens 100'000 Jahre gelagert werden können. Entscheidend sei aber auch, «dass die Bevölkerung in dieser Region durch die grossen Kraftwerke, die bereits bestehen, offen ist für Atomkraft und in diesem Sinne auch diesem Endlager zugestimmt hat».
Sind noch mehr AKW in Planung? In Finnland sollen zwei weitere AKW gebaut werden. Die Regierung hält an diesen Plänen fest – trotz der Kostenüberschreitung bei Olkiluoto 3. «Die Bewilligungen sind so weit aufgegleist», sagt Kaufmann. «Allerdings wird noch nicht daran gebaut, da geht es um neue Meiler im Norden Finnlands, auch wieder am Meer.»
Ist Olkiluoto 3 der letzte Dinosaurier der Atomkraft oder der Beginn einer Renaissance für diese umstrittene Energieproduktion?
Letztlich gehe es hierbei aber auch einfach ums Geld, um das Geschäftsmodell der Atomkraftwerke, sagt Kaufmann. «Die grosse Frage, die sich jetzt stellt, für Finnland und auch die Welt, ist: Ist Olkiluoto 3 der letzte Dinosaurier der Atomkraft oder der Beginn einer Renaissance für diese umstrittene Energieproduktion?»