Ilham Aliyev steht seit 20 Jahren an der Spitze des aserbaidschanischen Staates. Doch heute ist Aliyev im Volk wohl so beliebt wie nie zuvor: Im September haben aserbaidschanische Truppen die umstrittene Region Bergkarabach zurückerobert und die dort ansässigen Armenierinnen und Armenier vertrieben.
Aliyevs Propaganda versprach jahrelang die Wiedereingliederung von Bergkarabach und die Rache an den Armeniern, die dort eine eigene Republik ausgerufen hatten. Nun hat er seine Versprechen gehalten, Aserbaidschan fühlt sich von einem nationalen Trauma befreit.
Aliyev will die Euphorie des Sieges nutzen, um sich für weitere sieben Jahre zu legitimieren. Dabei steht ihm keiner im Weg: Die marginalisierte Opposition boykottiert die Wahlen zum achten Mal in Folge, die anderen Kandidaten sind regimetreue Marionetten, die zum Teil selbst zur Wahl des bisherigen Präsidenten aufrufen.
Fluch und Segen für das Regime
Freilich wäre dies auch in einem Jahr so gewesen, dann nämlich hätten die Wahlen ursprünglich stattfinden sollen. Wozu braucht Aliyev die Volksgunst der Stunde?
Tatsächlich ist der Triumph in Karabach Segen und Fluch zugleich für das Regime. Ausser dem aggressiven Nationalismus, den Aliyev in Bezug auf die abtrünnige Republik propagierte, hat sein System der Bevölkerung wenig zu bieten. Trotz enormer Einnahmen durch Öl- und Gasförderung stagniert Aserbaidschans Wirtschaft. Im Schnitt verdienen die Menschen dort weniger als in den Nachbarländern Armenien und Georgien.
Präsident droht weiter Armenien
Mit seinem Karabach-Feldzug konnte Aliyev sein Volk lange von den Missständen ablenken. Nun, da das Ziel erreicht ist, braucht es etwas Neues. Aliyev erhebt mehr oder weniger unverhohlen Ansprüche auf das Territorium Armeniens, sogar auf die Hauptstadt Eriwan. In Armenien wächst die Sorge, dass er seinen Worten auch Taten folgen lässt.
Doch ein Angriff auf international als armenisch anerkanntes Territorium birgt für Aliyev grössere Risiken als beim umstrittenen Bergkarabach. Lange hat sich der Westen aus dem Konflikt weitgehend herausgehalten, warnt aber seit September deutlich vor weiterer aserbaidschanischer Aggression. Europa bleibt für Aliyev ein wichtiger Kunde, trotz Annäherung des Regimes an Russland und China.
Daher kann Aliyev nicht mehr zwingend auf seine kriegerische Propaganda zählen, um das Volk von sich zu überzeugen. Den Erfolg in Karabach schlachtet er jetzt aus – wie es danach weitergeht, scheint er noch nicht zu wissen. Im Zweifel setzt er auf mehr Repression. In den letzten Monaten wurden mehrere der letzten unabhängigen Journalistinnen und Journalisten in Aserbaidschan verhaftet.