Worum geht es? Jair Bolsonaro weht derzeit ein rauer Wind entgegen. Laut neuesten Umfragewerten lehnen inzwischen 62 Prozent der Bevölkerung ihren Präsidenten ab. Das sind elf Prozent mehr als bei der letzten Umfrage. So schlecht hat Bolsonaro noch nie abgeschnitten in seiner Amtszeit. Er ist seit dem 1. Januar 2019 Präsident Brasiliens.
Was ist der Grund? Noch immer verharmlost Bolsonaro die Corona-Pandemie und ist gegen Schutzmassnahmen. Dabei könnte die Situation nicht dramatischer sein. Erst kürzlich hat Brasilien die Marke von einer halben Million Covid-19-Toten überschritten. Seit zwei Monaten tagt im Senat zudem eine parlamentarische Untersuchungskommission, welche das Pandemie-Management der Regierung untersucht. Diese Sitzungen werden viermal pro Woche live im Fernsehen gezeigt. Mediziner, Epidemiologinnen, Wissenschaftler oder Politikerinnen werden eingeladen und sprechen dort negativ über das Corona-Management von Bolsonaro.
Wie äussert sich die Unzufriedenheit? Neben den schlechten Umfragewerten schlagen Bolsonaro auch landesweite Proteste entgegen. Seit rund drei Wochen gibt es jeweils am Wochenende Demonstrationen, inzwischen in 110 Städten. Sie sind noch nicht so gross, dass sie Bolsonaro gefährlich werden könnten. Denn solange linksgerichtete Organisationen und Studentenverbände auf die Strassen gehen, ist das von Bolsonaros Regierung einkalkuliert.
Erst wenn Millionen auf die Strasse gehen und – ganz wichtig – wenn die bürgerliche Mitte mitdemonstriert, ändert sich das. Bis jetzt gingen jeweils etwa 400'000 Menschen auf die Strassen. Pro Stadt ist der Aufmarsch noch überschaubar. Aber der Ärger ist gross: Die Demonstrierenden fordern, Bolsonaro abzusetzen. So viele Coronatote, das sei Völkermord.
Was wird Bolsonaro vorgeworfen? Gegen den Präsidenten läuft ein juristisches Verfahren. Auf Druck des Obersten Gerichts prüft die Generalstaatsanwaltschaft, ob er seine Amtspflichten verletzt hat. Es geht um den Kauf von Millionen Dosen des indischen Covaxin-Impfstoffs. Ein hoher Beamter soll versucht haben, an jeder Dosis einen Dollar zu verdienen. Bolsonaro soll schon seit Monaten darüber Bescheid wissen, ohne etwas zu unternehmen, bestreitet aber die Vorwürfe. Deswegen hat die Justiz Vorermittlungen wegen Amtsmissbrauchs aufgenommen.
Kann ihm das gefährlich werden? Dass der zuständige Generalstaatsanwalt tatsächlich gegen den Präsidenten vorgehen wird, ist unwahrscheinlich. Er ist ein Bolsonaro-Vertrauter und hofft darauf, von ihm zum Obersten Richter ernannt zu werden. Das sieht man auch daran, dass er sich letzte Woche zuerst weigerte, Ermittlungen gegen Bolsonaro einzuleiten. Es bedurfte einer zweiten Aufforderung des Obersten Gerichts, damit die Ermittlungen wirklich beginnen konnten.
Kann das Bolsonaro politisch schaden? Wie gefährlich die Ermittlungen Bolsonaro werden können, ist noch unklar. Die Opposition hat 120 Amtsenthebungsanträge gegen Bolsonaro eingereicht, doch für ein Amtsenthebungsverfahren im Kongress ist eine Zweidrittelmehrheit nötig, da Bolsonaro weiterhin die Unterstützung des mächtigen Zentrumsparteienblocks hat.
Dessen Mitglieder stehen hinter ihm, weil sie von ihm mit einflussreichen Posten und mit Geld für Wahlkämpfe beschenkt werden. Darum kommt keine Zweidrittelmehrheit gegen Bolsonaro zustande. Und der Präsident des Abgeordnetenhauses, der über die Aufnahme eines Amtsenthebungsverfahrens entscheidet, ist ebenfalls ein Verbündeter Bolsonaros.