Monatelang wurde in der deutschen Koalitionsregierung um eine Nationale Sicherheitsstrategie gerungen. Nun wurde sie veröffentlicht. Die deutsche Regierung führt darin aus, wie sie auf äussere und innere Bedrohungen reagieren will. Gemäss dem Papier ist die grösste Gefahr für Deutschland auf absehbare Zeit Russland. Was die Strategie bringen soll, erläutert die Friedensforscherin Ursula Schröder.
SRF News: Ist diese umfassende Sicherheitsstrategie eine Antwort auf den Krieg gegen die Ukraine, die Konkretisierung des Begriffs «Zeitenwende»?
Ursula Schröder: Nein, das ist diese Strategie nicht. Diese Strategie wurde schon vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine in Auftrag gegeben. Sie ist mehr als nur eine Antwort auf den Krieg in der Ukraine. Man definiert mit ihr die grösseren politischen Narrative in einer Welt multipler Krisen. Deswegen hat sie auch die Bezüge zu Biodiversität, Klimakrise, innerer Sicherheit, Resilienz.
Das ist die Sicherheitsstrategie Deutschlands:
Was ist mit der integrierten Sicherheit gemeint?
Die Dimensionen, die die Sicherheitsstrategie anspricht, sind zum Ersten die Unverletzlichkeit des Lebens, klassische Sicherheitspolitik, militärisch verstanden, dann der Schutz der Freiheit unseres Lebens. Das sind Fragen der demokratischen Resilienz. Und drittens ist es der Schutz der Lebensgrundlagen, also des Klimas, der planetaren Sicherheit. Und diese sollen durch integrierte Politik vorangetrieben werden. Das wird noch definiert werden müssen in der Umsetzung.
Wie diese Ziele mit Ressourcen unterlegt und miteinander verbunden werden, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht klar.
Es wird keinen nationalen Sicherheitsrat in Deutschland geben. Kann das funktionieren, wenn doch jedes Ressort für sich agiert?
Das frage ich mich auch. Ich finde, dass das politische und das strategische Narrativ der Strategie – nach erster Durchsicht – gelungen ist. Aber wie diese Ziele mit Ressourcen unterlegt und miteinander verbunden werden, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht klar.
Warum hat sich die deutsche Regierung gegen einen Nationalen Sicherheitsrat entschieden?
Koalitionsintern gab unterschiedliche Vorstellungen. Das Auswärtige Amt möchte keine Kompetenzen an das Bundeskanzleramt abgeben. Die FDP wiederum setzt sich für den Nationalen Sicherheitsrat ein. Und dazu kommt die Frage: Soll nur koordiniert werden? Oder gibt es den Schatten der Hierarchie, also die Möglichkeit, das auch durchzusetzen? Diese Kompetenz hat der Bundeskanzler ohnehin. Deswegen kann es auch ohne so ein Gremium funktionieren.
Was bedeutet diese Strategie für Partnerländer und Rivalen?
Die Partnerländer bekommen, was sie vermutlich erwartet haben: ein klares Bekenntnis zu multilateraler Politik. Gemeint ist ein klares Bekenntnis zur EU, zur Stärkung der Europäischen Union als Friedensprojekt, ein starkes Bekenntnis zur Nato, ein starkes Bekenntnis zur Relevanz der UNO. Die Statements zu Russland und China sind da deutlich negativer. In Bezug auf China hält sich die Strategie zurück, weil parallel an einer Chinastrategie gearbeitet wird.
Für die deutsche Bevölkerung verändert sich die Sicht auf Sicherheit schon sehr.
Was verändert sich konkret für die Deutschen mit dieser Strategie?
Für die deutsche Bevölkerung verändert sich die Sicht auf Sicherheit schon sehr. Aussenministerin Annalena Baerbock hat an der Pressekonferenz gesagt, dass sich die Bevölkerung auf Fragen einstellen müsse, dass sie auch für Sicherheit sorgen müsse. Es ist ein neues Verständnis von Sicherheit, dass Sicherheit nicht nur an staatliche Organe delegiert wird. Die Strategie sagt den Bürgerinnen und Bürgern: Sicherheit geht uns alle an, ihr müsst vorsorgen.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.