Letzte Woche wurde der russische IT-Unternehmer Ilja Satschkow in Moskau verhaftet. Der Vorwurf: Er soll einem ausländischen Geheimdienst Staatsgeheimnisse weitergegeben haben. Er ist nicht der einzige, der in Russland wegen Landesverrats im Gefängnis sitzt. Es herrscht Angst. Dies spürt auch SRF-Korrespondent David Nauer.
SRF News: Was ist dran an den Vorwürfen gegen Ilja Satschkow?
David Nauer: Das kann ich nicht beurteilen, aber das Problem ist, dass niemand so genau weiss, was ihm überhaupt vorgeworfen wird. Nichtmal er selber oder seine Anwälte. Der Grund dafür ist, dass solche Landesverratsprozesse oft zur Geheimsache erklärt werden. Vorwürfe, Zeugen, Dokumente, oft auch Teile des Urteils werden zum Staatsgeheimnis erklärt. Kaum etwas dringt nach aussen, ausser dass die meisten Angeklagten am Schluss für Jahre ins Gefängnis müssen.
Es ist ein grosses Rätselraten, was hinter der Festnahme steckt. Aber dass er tatsächlich ein Spion ist, glaubt kaum jemand.
Wie reagiert die Öffentlichkeit auf diese Verhaftung?
Die Diskussion kreist nicht darum, ob er nun Landesverräter ist oder nicht, sondern in kritischen Medien geht es eher darum, was hinter dem Fall stehen könnte, was die eigentlichen Gründe für die Festnahme sein könnten. Verschiedene Thesen werden herumgereicht, zum Beispiel, dass jemand aus dem Staatsapparat ihm seine IT-Firma wegnehmen wolle.
Andere sagen, der Grund sei, dass er öffentlich die Sicherheitsdienste kritisiert habe. Nun übten diese Rache. Es ist ein grosses Rätselraten, was hinter der Festnahme steckt. Aber dass er tatsächlich ein ausländischer Spion ist, glaubt kaum jemand. Das Problem ist auch, dass die Liste der Staatsgeheimnisse ebenfalls geheim ist. Das heisst, ein gewöhnlicher Russe, eine gewöhnliche Russin weiss gar nicht, was man einem ausländischen Bekannten erzählen darf und was nicht.
Können Sie dafür ein Beispiel geben?
Es gibt einen bekannten Fall. Vor einer Weile hat eine Frau aus Russland einem Bekannten in Georgien geschrieben, dass vor ihrem Haus Militärfahrzeuge vorbeifahren, mutmasslich in Richtung Georgien. Sie wurde dafür tatsächlich angeklagt und verurteilt. Das ist sicher ein Extremfall, aber er zeigt: Es geht um strategische, militärische und Sicherheitsfragen. Aber die Grenze des Verbotenen ist sehr unscharf, zum Beispiel, ob man sagen darf, ich habe Panzer gesehen oder nicht.
Geht es dem russischen Machtapparat darum, Einzelpersonen auszuschalten, oder steckt da etwas anderes dahinter?
Insgesamt habe ich den Eindruck, dass diese «Spionomanie» absichtlich geschürt wird. Der Kreml sieht Russland als von Feinden umgeben. Der Westen, die Ukraine, Georgien, all diese Länder und Blöcke werden als feindlich gesehen. Es ist so eine Art Wagenburgmentalität.
Jeder Kontakt mit einem Ausländer, einer Ausländerin wird potenziell ein Risiko für Menschen in Russland.
In der Situation werden nun auch Feinde im Innern gesucht. Damit wird eine unselige Tradition aus der Sowjetzeit wiederbelebt. Dazu gehört auch, dass jeder Kontakt mit einem Ausländer, einer Ausländerin potenziell ein Risiko wird für Menschen in Russland.
Geht diese Strategie auf?
Ja, leider. Das erlebe ich selber. Grundsätzlich sind Russinnen und Russen eigentlich sehr offen. Sie erzählen auch mir sehr gerne ihre Geschichten, von ihren Problemen. Aber in letzter Zeit habe ich es mehrmals erlebt, dass Leute mich fragen, ob es sicher sei, mit mir zu reden. Ein Sicherheitsexperte, den ich schon interviewt habe, sagte ganz offen, er rede nicht mehr mit ausländischen Journalisten, es sei ihm zu heikel. Es ist erschütternd, dass es Russen gibt, die Angst haben, mit mir zu reden. Sowas hätte man sich vor ein paar Jahren noch nicht vorstellen können.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.