Die historische Bedeutung der Genfer Konventionen war den Zeitgenossen schon in den 1970ern bewusst: «Am Anfang war Solferino», setzt der «Bericht vor 8» bedeutungsschwer ein, und erinnert an eine der blutigsten Schlachten des 19. Jahrhunderts.
40'000 Menschen starben 1859 in der Lombardei. Rückblickend sollte ihr Tod zumindest etwas bewirken: Es war die Geburtsstunde des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes. Sein Gründer, der Genfer Henri Dunant, wurde Zeuge des Gemetzels.
Mit dem Anspruch, selbst im Krieg ein gewisses Mass an Menschlichkeit zu garantieren, wurden 1949 auch die Genfer Konventionen unterzeichnet. Sie definierten, unter dem Eindruck der Gräuel des Zweiten Weltkriegs, Regeln, die in bewaffneten Konflikten eingehalten werden sollten.
Die Genfer Konventionen sind wichtiger denn je.
«Humanitäres Menschenrecht wird seither in langwierigen Konferenzen systematisch ausgebaut», würdigt der «Bericht vor 8» die Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft.
Wer nach Syrien oder in den Jemen blickt, auf Folter, Angriffe auf Spitäler und schutzlose Zivilisten, wird sich fragen: Sind die Genfer Konventionen mehr als ein Papiertiger? «Sie sind wichtiger denn je», sagt IKRK-Präsident Peter Maurer. Er ist überzeugt: Ohne die Genfer Konventionen wäre die internationale Situation noch schlimmer.
Das sieht auch der Völkerrechtler Daniel Thürer so: «Ohne solche Konventionen würde absolutes Chaos und Anarchie herrschen.» Die Genfer Konventionen seien unverzichtbare Grundlage der Diplomatie und der Strafverfolgung bei Kriegsverbrechen. Aber: «Sie haben nicht die Bedeutung, die sie verdienen.»
Neue Arten von Kriegen
Seit dem Weltenbrand des Zweiten Weltkrieges haben sich Kriege fundamental verändert. Staaten verfolgen Terroristen, mit Cyberattacken haben sich Kriege aus der physischen Welt verabschiedet, Panzerschlachten und Schützengräben sind Geschichte.
Auch für Thürer ist klar: Die Genfer Konventionen müssen fortwährend weiterentwickelt werden. Und das hätten sie auch getan. So wurde 2017 der «Tech Accord» zur Cybersicherheit ins Leben gerufen, eine digitale Genfer Konvention, die von über 30 Tech-Firmen unterzeichnet wurde.
Der emeritierte Professor glaubt, dass sich der Charakter kriegerischer Auseinandersetzungen in den kommenden Jahren weiter verändern wird: «Eine Anpassung der Konventionen muss ständig neu erfolgen. Wichtige Grundlagen sind aber vorhanden.»
Braucht es eine Umwelt-Konvention?
Mittlerweile gibt es auch Forderungen, wonach in Konflikten keine Ökosysteme zerstört werden dürfen. Thürer hält das für sinnvoll. Letztlich gehe es auch dabei um den Schutz der Menschen. Denn ihre Existenz ist von einer intakten Umwelt abhängig.
Die Zerstörung von Wasservorräten oder landwirtschaftlichen Produktionsstätten widerspreche humanitärem Denken und Recht: «Solche Verletzungen von Umweltvorschriften, die bereits bestehen, sind Kriegsverbrechen. Und diese können auch heute schon geahndet werden.»
Eine neue Konvention zu schaffen, wäre für den Völkerrechtler eine sehr komplexe Angelegenheit. Denn ein ähnlicher Geist wie 1949 herrscht derzeit nicht in der Staatengemeinschaft: «Ein neues Vertragswerk zu schaffen, ist in der heutigen Zeit schwierig.» Es sei aber ein Fortschritt, dass sich die Weltöffentlichkeit der Gefahren bewusst sei, schliesst Thürer.