Mehrmals pro Woche kommen in Washington, D.C., Busse an, mit Migrantinnen und Geflüchteten aus Lateinamerika. Hintergrund ist ein Streit zwischen dem Gouverneur von Texas, Greg Abbott, und Präsident Joe Biden.
Ein Bus hält vor dem Washingtoner Hauptbahnhof Union Station. Es ist kurz nach 8 Uhr morgens – ein Strassenmusiker spielt Gitarre. Erst vor wenigen Stunden, noch in der Nacht, sind hier Dutzende Migranten angekommen, mit einem Bus aus Texas.
Ein Spielball der US-Politik
Drinnen in der Bahnhofhalle ist die Gruppe junger Männer kaum zu übersehen. Ihre Haut ist braun gebrannt und ihre Kleidung wirkt bunt zusammen gewürfelt – das fällt auf in der grauen Beamtenstadt mit vielen Anzugträgern.
30 Stunden habe die Busfahrt von der texanischen Grenzstadt Del Rio bis Washington, D.C., gedauert, sagt Rodrigo. Nur einmal habe der Bus zwischendurch gehalten, erzählt der 22-Jährige. Er sei freiwillig mitgefahren. Die texanischen Grenzwächter hätten ihn nicht dazu gezwungen, in den Bus einzusteigen, sagt der Honduraner. Er wolle zu Freunden nach New York, habe aber nicht genug Geld für die Reise dorthin, deshalb sei er froh gewesen um den Gratis-Bus.
Vom Bahnhof geht es zu Fuss in eine nahe gelegene Kirche. Rodrigo und die anderen freuen sich, dass sie nun in Washington sind. Dass sie zugleich ein Spielball der amerikanischen Politik sind, wissen die Geflüchteten nicht.
Gregg Abbott vs. Joe Biden
Mit den Bussen will der Gouverneur von Texas, Greg Abbott, Druck machen auf Präsident Joe Biden. Dies, weil Biden den sogenannten «Title 42» aufgehoben hat. Diese Regelung hatte texanischen Grenzschützern erlaubt, aufgegriffene Migranten ohne irgendeine Form eines Verfahrens direkt wieder zurückzuschicken – angeblich, um die US-Bevölkerung vor dem Coronavirus zu schützen.
Doch Biden hob Title 42 auf – ein Gericht blockierte diesen Entscheid allerdings wiederum. Trotzdem ist es unter Biden für die Grenzwächter wieder schwieriger geworden, Migranten nach Mexiko zurückzuschicken.
Also schickt Abbott sie nach Washington. Laut Schätzungen sind seit April bereits mehrere Dutzend Busse in der amerikanischen Hauptstadt eingetroffen. Zu Beginn waren es jeweils noch ein oder zwei, inzwischen sind es doppelt so viele.
Flucht vor Repression, Gewalt und Hunger
Gestern habe er im Bus seinen 25. Geburtstag gefeiert, erzählt Alberto auf dem Weg in die Kirche. Jetzt will der Venezolaner versuchen, sich irgendwie in Washington durchzuschlagen, auf eigene Faust.
In seinem Heimatland sieht er für sich keine Zukunft – nur Repression, Gewalt und Hungersnot. Von Venezuela floh Alberto nach Kolumbien, Panama, Costa Rica, Nicaragua, Guatemala, Honduras, Mexiko.
Ich würde das alles nicht meinem schlimmsten Feind wünschen.
Fast zehn Länder hätten sie durchquert, sagen Alberto und die anderen. Über eine Woche lang marschierte der 25-Jährige durch den Regenwald: «Acht Tage war ich im Regenwald», erzählt Alberto, «wir haben dort geschlafen. Ich habe Tote gesehen. Viele Tote. Du läufst an Menschen vorbei, die Verletzungen haben an den Beinen. Sie bitten dich um Hilfe. Aber du kannst nichts tun. Ich würde das alles nicht meinem schlimmsten Feind wünschen.»
Helferinnen und Helfer am Anschlag
In der Capitol Hill United Methodist Church angekommen, gibt es für die Migranten frische Kleider, und etwas Kleines zu essen. Eine freiwillige Helferin der Kirche bittet die Geflüchteten, sich hinzusetzen. Jeder könne nur einen halben Donut nehmen, erklärt sie. Sonst reiche es nicht für alle.
Die Hilfsorganisationen sind am Anschlag. Laut der Biden-Regierung wurden all jene, die Texas in die Hauptstadt schickt, zuvor von der Grenzschutz-Behörde registriert. Sie dürfen sich deshalb frei in den USA bewegen, während sie auf ihren Asyl-Bescheid warten.
Doch wovon sollen sie in dieser Zeit leben? Nothilfe leisten verschiedene Hilfswerke im Auftrag des Staates. Doch der Staat deckt bisher nur einen Teil ihrer Ausgaben.
Pfarrerin Stephanie Vader wünscht sich mehr Unterstützung von den Behörden. Jede Art der Hilfe sei willkommen, sagt sie, egal von welcher politischen Seite. «Ich verstehe nichts von Einwanderungspolitik», sagt die Pfarrerin, «ich sehe nur Menschen, die an einer Busstation stehen, ohne etwas zu essen, ohne Zugang zu Hygiene oder einem Schlafplatz. Als christliche Pfarrerin ist es meine Aufgabe zu helfen. Also mache ich das.»
Die Kirche von Pfarrerin Vader ist Teil eines Netzwerks von Hilfsbereiten in der Hauptstadt. Hilfsorganisationen übersetzen für die Migranten, sie kaufen Bus- oder Flug-Tickets und helfen ihnen, zu ihren Verwandten zu gelangen, oder die Helfer platzieren die Migrantinnen in privaten Unterkünften oder Notschlafstellen.
Als christliche Pfarrerin ist es meine Aufgabe zu helfen. Also mache ich das.
Ohne diese Hilfe würden die Menschen auf der Strasse landen – ohne Geld und ohne Arbeitserlaubnis. Noch verhindern die Hilfsorganisationen das Schlimmste.
Doch wenn Texas weiterhin Busse nach Washington, D.C., schickt, mit immer mehr Migrantinnen und Migranten, dann wird das irgendwann auch für Präsident Joe Biden zu einem Problem, das er nicht länger ignorieren kann.