Wen möchte die britische Regierung abschieben? Die britische Regierung will Migrantinnen und Migranten, die irregulär – also ohne die nötigen Papiere – ins Land kommen, grundsätzlich nach Ruanda abschieben. Egal, wo sie herkommen oder wie ihre persönlichen Umstände aussehen. Die Menschen sollen dann dort einen Asylantrag stellen, um im Zweifel in Ruanda bleiben zu können. Eine Rückkehr nach Grossbritannien ist nicht vorgesehen.
Warum macht Ruanda da mit? «Das liegt eindeutig an Ruandas Präsident Paul Kagame», sagt die ehemalige Afrika-Korrespondentin Anna Lemmenmeier. Die autoritäre Führung in Kigali erhofft sich, als verlässliche Partnerin des Westens wahrgenommen zu werden. «Kagame ist zwar ein Diktator, aber er weiss sich extrem gut zu verkaufen als einer, der das Land aus dem Genozid führte und es sauber, sicher und stabil machte.» Das Bild, das die Regierung gegen aussen trage, trüge jedoch. «Jegliche Opposition im In- und Ausland wird verfolgt.» Ruanda hat bislang umgerechnet rund 400 Millionen Franken erhalten, ohne dass dort ein Flüchtling aus Grossbritannien angekommen ist. Doch das Geld sei nicht Ruandas Anreiz, sagt Lemmenmeier. «Vielmehr geht es um die positive Werbung für das Land und die Regierung.»
Was kritisieren die Richter an dem Vorhaben? Der oberste Gerichtshof in London machte deutlich, dass es Ruanda nicht als sicheres Drittland betrachtet und monierte, es sei nicht sichergestellt, dass die Menschen dort ein faires Asylverfahren erhalten. Dabei berief sich der Supreme Court auf Berichte des UNO-Flüchtlingshilfswerks und frühere britische Angaben über aussergerichtliche Hinrichtungen, Todesfälle in Haft sowie Folter und eine hohe Ablehnung von Asylanträgen aus Konfliktgebieten wie Syrien. Premierminister Rishi Sunak setzt sich darüber hinweg – mit der neuen Gesetzgebung wird Ruanda per Federstrich zum sicheren Staat erklärt. Das soll Einsprüche vor britischen Gerichten verhindern.
Wenn es so viel Kritik gibt: Warum machen die Briten das? Vor allem zur Abschreckung. «Die Abschiebung von Migrantinnen und Migranten nach Afrika gehört zu den grossen Wahlversprechen von Sunak», sagt SRF-Korrespondent Patrik Wülser. «Politisch wäre es für den Premierminister sehr wichtig, dass mindestens ein Flieger mit illegal eingereisten Migranten in Richtung Ruanda abhebt.» Eine nachhaltige Lösung sei das aber nicht. Sein Schlagwort lautet «Stop the Boats». Er will die Schlauchboote aufhalten, mit denen Menschen über den Ärmelkanal kommen. 2023 waren es knapp 30'000, von Januar bis März 2024 waren es mit mehr als 4600 so viele wie noch nie in einem ersten Quartal. Staatssekretär Michael Tomlinson verteidigte die Pläne als wichtiges Mittel, um Grenzen zu schützen und Migranten von der gefährlichen Überfahrt abzuhalten, denn immer wieder ertrinken Menschen bei dem Versuch.
Wie schnell wird das mit den Flügen nun gehen? Sunak hoffte lange, dass noch im Frühjahr ein Abschiebeflieger nach Ruanda abhebt. Am Montag sprach er aber von zehn bis zwölf Wochen nach Inkrafttreten des Gesetzes. Nach Sunaks Angaben gibt es einen Vertrag mit einem kommerziellen Anbieter, sodass die Regierung nicht auf Maschinen der Royal Air Force zurückgreifen muss. Auch ein Flugplatz stehe bereit. Die Zeitung «Times» berichtete, Sunaks Regierung wolle ähnliche Abkommen mit Armenien, der Elfenbeinküste, Costa Rica und Botswana ausloten.