Irlands Frauen sollen fortab nicht mehr den Preis für katholisch geprägte Scheinheiligkeit bezahlen müssen. Laut breit abgestützten Wählerbefragungen und ersten Resultaten wollen mehr als zwei Drittel die Abtreibung in Irland erlauben.
Obwohl jedes Jahr über 3000 Irinnen ihre Schwangerschaften im Ausland – namentlich in England – beenden lassen, obwohl über 1000 weitere Frauen illegal Abtreibungspillen übers Internet bestellen und bei Komplikation ohne ärztliche Betreuung auskommen müssen, hielt die irische Verfassung seit 1983 fest, der irische Staat müsse das ungeborene Leben ebenso beschützen wie das Leben der werdenden Mutter.
Ein «Urschrei»
Orla O’Connor, Direktorin des irischen Frauenverbandes, sprach am Samstagmorgen von einem «Urschrei» des irischen Volkes: Dieser Verfassungsparagraf solle entfernt werden. In der Tat: Querbeet, durch alle Regionen fiel das Resultat deutlich aus. Nur die über 65-Jährigen lehnten die Reform mehrheitlich ab.
Die Katholische Kirche blieb kleinlaut in den letzten Wochen; ihre Autorität ist durch die Missbrauchsskandale der letzten zwanzig Jahre heillos beschädigt worden. Doch auch das katholisch geprägte Wunschdenken, das 1983 zur Einführung dieses Verfassungsartikels führte, ist im Schwinden begriffen.
Zum sechsten Mal innert 35 Jahren hat Irland über die Abtreibung abgestimmt. Erstmals fand eine rationale Diskussion statt, bei der es nicht nur um theologische und gynäkologische Spitzfindigkeiten ging, sondern um das Wohlbefinden von Frauen.
Geschichte erzählen – und anhören
Wie schon vor drei Jahren, als Irland als erstes Land der Welt die gleichgeschlechtliche Ehe in einem Plebiszit anerkannte, erzählten sich Iren und Irinnen persönliche Geschichten. Frauen berichteten von hochnotpeinlichen, oftmals heimlichen Reisen nach England, von der Scham und der Einsamkeit. Frauen berichteten von ihren ungeborenen Kindern, die über keine Überlebenschancen verfügten. Die Stimmbürgerinnen hörten diese Lebensgeschichten und beschlossen, der Doppelmoral ein Ende zu setzen.
Das irische Abgeordnetenhaus, der Dáil, hat nun den Verfassungsauftrag, Abtreibungsgesetze zu erlassen. Die Regierung von Premierminister Leo Varadkar hat eine Fristenlösung bis zwölf Wochen versprochen. Angesichts der Klarheit des erwarteten Resultats wird sich der Dáil dieser Aufgabe nicht mehr entziehen können – Irland verlangt Ehrlichkeit.
Wegen zu vielen Verstössen gegen die Netiquette hat die Redaktion die Kommentarfunktion in diesem Artikel deaktiviert. Wir bitten um Verständnis.