Der «Grand Ethiopian Renaissance Dam» soll, wie der Name sagt, nichts Geringeres einleiten als die Wiedergeburt Äthiopiens. Ein Weg in die Zukunft, der Grundstein für die Entwicklung des Landes, der Ausweg aus der Armut. So sieht es auch der 30-jährige Kinderarzt Negeo Tesfaye: «Dort, wo ich aufgewachsen bin, gab es keinen Strom. Das muss sich ändern.»
Äthiopien müsse wirtschaftlich vorankommen. «Darum brauchen wir den Staudamm», sagt er per WhatsApp. Wie viele Äthiopierinnen und Äthiopier macht er sich in den sozialen Medien stark für das Jahrhundertprojekt. Denn immer noch haben rund 55 Millionen Menschen im Land keinen Zugang zu Strom.
Kein Strom in Spitälern
Und selbst jene, die Zugang haben, müssen immer wieder darauf verzichten. «In meiner Praxis in Nekemte, rund 300 Kilometer von Addis Abeba entfernt, müssen wir viel Geld für Benzin und Generatoren ausgeben», sagt Tesfaye. «Es geht hier um wirtschaftliche Entwicklung, aber auch um die Umwelt.» Und wenn der Strom im Spital fehlt, geht es um Leben und Tod.
Tesfaye hat einen eigenen Beitrag an den Staudamm geleistet: «Ich habe ein paar Monatslöhne an den Damm bezahlt, weil ich an das Projekt glaube. Es ist wichtig, dass jeder Äthiopier etwas beisteuert.» Denn anders als bei solchen Projekten üblich, haben nicht die Weltbank oder China das Geld vorgestreckt.
Lotterie zur Finanzierung
Äthiopien finanziert den «Grand Ethiopian Renaissance Dam» selbst aus seinem Staatsbudget und durch Geld aus der Bevölkerung. Dafür zuständig ist Roman Gebreselassie vom Koordinationsbüro für Bürgerbeteiligung.
«Wir haben unter anderem eine Art Lotterie per Telefon», erklärt er. «So erreichen wir auch die Armen, die bereits mit wenig Geld mitmachen können. Denn es geht nicht nur um das Geld, sondern auch um moralische Unterstützung.»
Äthiopien appelliert an den Nationalstolz. Und das funktioniert. Umgerechnet rund 400 Millionen Schweizer Franken habe der Staat so bei der Bevölkerung mobilisieren können, so Gebreselassie. Den grössten Teil durch den Verkauf von Obligationen. Das Gesamtprojekt dürfte an die fünf Milliarden kosten.
Der Staudamm am blauen Nil ist beliebt in Äthiopien und für viele das Symbol von Unabhängigkeit und Souveränität, ein wichtiger Teil des nationalen Mythos. Äthiopien wurde – anders als der Rest Afrikas – nicht kolonisiert.
Dass Ägypten sich im Nilstreit gegen den Damm wehrt, stösst deshalb auf Unverständnis. «Wir finden es unfair, dass Ägypten verhindern will, dass unser Land sich aus der Armut befreit», so Gebreselassie weiter. «Wir werden alle vom Staudamm profitieren. Aber die Hälfte unserer Leute hat keinen Zugang zu Strom, in Ägypten hat die gesamte Bevölkerung Strom.»
Keine Bewässerung geplant
Äthiopien braucht, anders als Ägypten, das Nilwasser nicht für die Landwirtschaft, sondern um Strom zu gewinnen. Das Wasser wird also nicht verbraucht, sondern fliesst weiter den Nil herunter. Doch während der Auffüllphase des Stausees, welche bereits im Juli beginnen soll, bleibt weniger Wasser im Nil zurück. Was ist, wenn es eine Dürre gibt?
Darüber diskutieren Äthiopien, Sudan und Ägypten derzeit. Doch Gebreselassie ist sicher: «Unsere Brüder in Ägypten und im Sudan werden vom Damm ebenso profitieren.» Er werde zu Frieden und Entwicklung in der ganzen Region beitragen. In den letzten neun Jahren des Nilstreits hat es schon ganz andere Töne gegeben. Die Verhandlungen gehen weiter.