Millionen Likes, Hunderttausende Follower. Die in Teilen rechtsextreme «Alternative für Deutschland» hat auf Tiktok mehr Reichweite als alle anderen Parteien zusammen. Videos von Parteichefin Alice Weidel sind Kult, sie kommt mal als starke, lesbische Frau, mal einfach als witzige, coole Socke rüber.
Dabei werden die meisten Kurzfilmchen gar nicht vom offiziellen Parteikanal der AfD-Bundestagsfraktion hochgeladen, sondern von Dritt-Accounts. Ein alternatives Netzwerk an Fans, Unterstützern und Influencern wirkt als Reichweiten-Booster für die AfD.
Der Hamburger Social-Media-Experte Martin Fuchs erkennt darin eine klare Strategie: «Die flauschigen Inhalte sorgen dafür, dass erst mal Menschen Interesse an ihr gewinnen. Und wenn die Menschen einen wahrnehmen, einen sympathisch finden, dann kann man darauf Inhalte aufsetzen. Das funktioniert sehr, sehr einfach und sehr schnell.»
Ungefilterte AfD-Narrative
Es ist ein kleiner Schritt von der charmant lächelnden zur wutschnaubenden Alice Weidel, die im Bundestag der Regierung Stasi-Methoden unterstellt und hasserfüllte Reden schwingt. Mit zunehmender Verweildauer auf harmlosem «#afd»-Inhalt spült der Algorithmus der Videoplattform den Userinnen und Usern auch ungefragt antidemokratische, rassistische und extreme Ideologien in die «for you»-Page.
Das umfassende Narrativ der Partei lautet dabei: Die Welt ist im Wandel, die Welt ist verrückt geworden und zu komplex, aber die AfD macht sie einfach zu verstehen. Was sich laut Fuchs durch alle Videos ziehe, sei dazu die klare Gegner-Benennung: «Die Regierung ist schuld, die Migrantinnen, die Migranten sind schuld, sie nehmen uns die Arbeitsplätze weg. Die Frauen sind schuld, weil sie jetzt emanzipiert sind.»
Schlüssel zu Erstwählern
Anders als andere Parteien bespielt die AfD Tiktok systematisch, AfD-Politikerinnen und -Politiker werden darauf getrimmt, plattformkonforme Reden zu halten, mit gut platzierten Reizwörtern, mit kurzen, knackigen Punchlines (zentrale Botschaft oder Pointe). Laut einer aktuellen Studie erreicht ein Video der AfD auf Tiktok ungefähr 400'000 Menschen. Videos anderer Parteien werden von maximal 80'000 Menschen gesehen. «Die AfD ist nicht nur mit sehr viel mehr Content unterwegs, deren Videos sind auch viel erfolgreicher», urteilt der Social-Media-Experte.
Einzelne Videos gehen viral, wie die Dating-Tipps des AfD-Spitzenkandidaten für die Europawahl. Mann brauche nur rechts und patriotisch zu sein, dann klappe es auch mit der Freundin. Oder das Weihnachtsvideo eines Landtagsabgeordneten aus Baden-Württemberg, der allen Ernstes einen Kalender 2024 mit den 12 schönsten Abschiebe-Flugzeugen propagiert. Es sind Videos, die unter den 16- bis 19-Jährigen ein eher unbedarftes Publikum finden.
Die Strategie scheint indes aufzugehen. Bei den Bundestagswahlen 2021 wurde die extreme Rechte von Jungen kaum gewählt. Bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen verzeichnete die AfD bei dieser Gruppe den grössten Zuwachs. Es ist davon auszugehen, dass Tiktok auch für die Bundestagswahl 2025 eine relevante Plattform sein wird. Die anderen Parteien wären gut beraten, diese der AfD nicht allein zu überlassen.