Die Zahl der Geburten in China ist im vergangenen Jahr drastisch auf einen «alarmierenden» Tiefstand gefallen. Im Vergleich zum Vorjahr seien 15 Prozent weniger Neugeborene amtlich gemeldet worden, berichtete das Ministerium für öffentliche Sicherheit in Peking.
Die Zahl sei von 11.79 auf 10.04 Millionen gefallen. Experten warnen vor einer Überalterung im bevölkerungsreichsten Land der Erde, die damit noch deutlich schneller als erwartet voranschreitet. Das werde das Wachstum der zweitgrössten Wirtschaftsnation bremsen.
Auch eine Kostenfrage
Wirklich neu sei der Trend nicht, berichtet SRF-Korrespondent Martin Aldrovandi aus Schanghai. Kinder kriegen – und vor allem Kinder grossziehen – sei für viele Chinesinnen und Chinesen zu teuer geworden. «Nachhilfeunterricht und vor allem der Musikunterricht gehören oft dazu. Das wird hier sehr ernst genommen.»
Mit dem Wohlstand ist auch die Mittelschicht gewachsen. Und auch die Ansprüche sind gestiegen. So werde etwa erwartet, dass sich Familien eine Wohnung kaufen – gerade in boomenden Megametropolen ein kostspieliges Unterfangen.
Aldrovandi nennt das Beispiel einer befreundeten Familie ihn Schanghai. «Sie haben einen zweijährigen Sohn und überlegen sich jetzt schon, in einen anderen Stadtteil zu ziehen, nur damit das Kind in den bevorzugten Kindergarten kommt.» Für die Erziehung werde zeitlich und finanziell sehr viel aufgewendet. «Da sagen sich viele: ein Kind genügt.»
Freiwillige Ein-Kind-Politik
Die Aufhebung der seit 1979 geltenden Ein-Kind-Politik hatte 2016 nur vorübergehend zu einem leichten Anstieg der Geburten geführt, doch ist die Zahl seither wieder stetig gefallen.
Der Politikwechsel hatte also nicht den erwünschten Effekt auf die Geburtenrate. Auch weil in China eine ganze Generation herangewachsen ist, die oft keine Geschwister haben. «Sie sind selbst als Einzelkinder gross geworden, also ist es für sie der Normalfall, nur ein Kind zu haben», sagt Aldrovandi.
Sorgen ums Wirtschaftswachstum
Wie viele westliche Industrienationen hat nun auch China mit der Überalterung der Gesellschaft zu kämpfen. Die Arbeitskräfte werden weniger, gleichzeitig sind immer mehr Menschen im Ruhestand. Pekings erklärtes Ziel ist, die USA als Wirtschaftsmacht Nummer Eins abzulösen – der Rückgang der arbeitsfähigen Bevölkerung steht dem Wachstum aber im Weg.
Die Gefahr, dass der Wirtschaftsriese China ins Taumeln gerät, besteht für den Korrespondenten durchaus. Die Regierung versucht, den Konsum zu fördern, um Gegensteuer zu geben. «Und es gibt Kampagnen und auch Prämien, um die Geburtenrate anzukurbeln.» Den gewünschten Effekt hat all das bislang nicht gebracht.
Jahrzehntelang hat sich der Staat brutal in die Familienplanung eingemischt. Auch mit Zwangsabtreibungen und Sterilisationen. Helfen könnte aber ein einfaches Mittel, resümiert Aldrovandi: «Die Leute einfach mal machen lassen. Man kann ihnen offenbar nicht vorschreiben, wie sie ihr Leben gestalten sollen.»