Am Anfang war der Untergang. Spaniens gute Zeiten waren vorbei. Die Krise war da. Die Turbulenzen auf den internationalen Finanzmärkten begannen 2008 und brachten Spaniens Immobilienblase zum Platzen. Die Wirtschaft rutschte ab, in wenigen Jahren waren über sechs Millionen Menschen arbeitslos. Dreimal mehr als zu Beginn der Krise.
Hunderttausende Familien verloren ihr Einkommen ganz oder teilweise, konnten ihre Hypothekarschulden nicht mehr zahlen und wurden auf die Strasse gestellt. Es wurde kalt in Spanien.
Angebot an die Krisenverlierer
Das war die Ursuppe, aus der ein neues Spanien hätte entstehen sollen. Man glaubte, die Massenproteste der «indignados» («Empörten») würden etwas bewegen. Aber das alte Zweiparteiensystem funktionierte ungestört weiter. Die «indignados» blieben lärmige Zuschauer.
Die Rechnung für die Etablierten kam erst, als es wieder aufwärts ging. Im Mai 2014, bei den europäischen Parlamentswahlen schlug in Spanien der Blitz ein: «Podemos». Die eben erst gegründete Partei, deren Namen noch kaum wer kannte, errang auf Anhieb fünf Sitze im Europäischen Parlament. «Podemos» war eine massgeschneiderte Antwort auf die Politikverdrossenheit in der Bevölkerung, ein Angebot für die Krisenverlierer und all jene, die den Traditionsparteien (den Sozialisten und Konservativen) wütend den Rücken kehrten.
Plötzlich waren Alternativen da. «Podemos» links und, wenig später, die katalanischen «Bürger» («Ciudadanos») rechts. Sie erneuerten das starre Parteien-System aber nicht, sondern machten es zerbrechlicher. Niemand schafft heute mehr eine absolute Mehrheit, vier Parteien rangeln um die Macht – und keine erreicht sie. Hier beginnt Spaniens Dauerwahlkampf. Die Jungparteien wollen sich profilieren, und sie wollen, natürlich, ganz nach oben. Die Alten verteidigen ihre Spitzenplätze und Pfründen.
Während der Krise kamen aber auch andere Kräfte hoch, die das politische Bild Spaniens noch verworrener machen. Die katalanischen Separatisten wurden schnell stärker. Die Ablehnung des neuen Autonomiestatuts Kataloniens war der Auslöser für deren Aufstieg, die Wirtschaftskrise war das Panorama. Die Unabhängigkeitsparteien wuchsen in wenigen Jahren von 15 auf 48 Prozent Wähleranteil. Und aus dieser Stärke wuchs die Entschlossenheit, Spanien herauszufordern mit unerlaubten Abstimmungen über die Sezession.
Stabile Mehrheit kaum möglich
In einem Land, das im ergebnislosen Dauerwahlkampf steckte, war diese Entwicklung Gift und führte zu antispanischen Emotionen da und antikatalanischen dort. Vor allem aber liefern die Katalanen ein Thema, das sich emotional ausbeuten lässt, von den «Españolistas», den Spanientreuen, den Patrioten oder wie immer sie sich nennen mögen. Katalonien ist das zentrale Thema, das jedes andere verdrängt im Wahlkampf.
Und Katalonien ist das Thema, das einer fünften Partei, ganz am rechten Rand des politischen Spektrums, schnelles Wachstum ermöglichte: «Vox» heisst sie. In Spanien gilt sie als rechtsextrem. Und Vox splittert das Parteiengefüge weiter auf. Derzeit ist kaum anzunehmen, dass die bevorstehenden Wahlen eine funktionierende Regierungsmehrheit hervorbringen. Es ist möglich, dass Spanien bald wieder wählt. Oder dass eine schwache Minderheitsregierung weitermacht. Spaniens Dauerwahlkampf endet nicht. Und: Spanien bleibt ein kompliziertes Land.