Der österreichische Inzesttäter Joseph Fritzl, der seine Tochter über 20 Jahre lang im Keller gefangen hielt, sie x-fach vergewaltigte und mit ihr Kinder zeugte, von denen eines starb, wird möglicherweise vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen. In einem neuen Gutachten steht, Fritzl habe Demenz. Darum werde er kaum mehr straffällig werden. Er soll daher in ein Pflegeheim kommen. Der Gerichtsreporter des «Tages-Anzeigers», Thomas Hasler, erklärt die Umstände.
SRF News: Wie ist die juristische Situation bei Straftäter Fritzl?
Thomas Hasler: Nach österreichischem Recht ist bei lebenslanger Freiheitsstrafe die bedingte Entlassung nach dem Vollzug von 15 Jahren möglich. Allerdings darf eine Person nur dann bedingt entlassen werden, wenn anzunehmen ist, dass sie keine weiteren strafbaren Handlungen begehen wird. Das ist bei Fritzl wahrscheinlich. Ich weiss nicht genau, wie ausgeprägt die Demenz des 88-Jährigen ist. In seinem Fall kommt noch dazu, dass die sogenannte Begutachtungs- und Evaluationsstelle für Gewalt und Sexualstraftäter – so heisst es in Österreich – eine Zustimmung, eine Empfehlung abgibt. Diese Empfehlung muss in Österreich dem Bundesminister für Inneres vorgelegt werden.
Was würde die bedingte Entlassung für Fritzl konkret bedeuten?
Im Zusammenhang mit bedingten Entlassungen stellt sich die Frage, ob ein sozialer Empfangsraum vorhanden ist. Es ist offenbar vorgesehen, dass er in ein Pflegeheim kommt. Ich kenne die Details nicht. Das Strafvollzugsgesetz in Österreich schreibt vor, dass – wenn ein Strafgefangener krank ist und wenn er in der entsprechenden Anstalt nicht mehr sachgemäss behandelt werden kann – man ihn entweder in eine andere Anstalt überweist, wo die erforderliche Behandlung gewährleistet ist. Und falls das nicht möglich ist, dass man ihn in eine Krankenanstalt einweist.
Ich würde nicht unbedingt von einer Entlassung reden, schon gar nicht von Entlassung auf freien Fuss.
Ich könnte mir vorstellen, dass – je nach Demenzzustand von Fritzl – dieses Pflegeheim einfach eine Möglichkeit ist, ihn angemessen zu behandeln, was im Gefängnis unter Umständen nicht mehr möglich ist. Ich würde nicht unbedingt von einer Entlassung reden, schon gar nicht von Entlassung auf freien Fuss. Man würde ihn einfach in ein Setting bringen, wo er die letzten Lebensjahre seinem Zustand entsprechend verbringen kann.
Man hat die Tendenz, Straftätern, die ganz schwere Delikte begangen haben, die Menschenwürde abzusprechen.
In Österreich sind viele Menschen empört darüber, dass Fritzl in ein Pflegeheim kommen könnte. Das zeigen vor allem Reaktionen in den sozialen Medien. Wie sehen Sie das?
Ich kann ein Stück weit nachvollziehen, dass man empört ist, dass ein Mensch, der solch schlimme Delikte begangen hat, jetzt freigelassen werden soll. Ich glaube aber, man muss im Hinterkopf behalten, dass dieser Mann nicht nur 88-jährig, sondern auch dement ist und je nach Zustand seiner Demenz sich selber und seine Umgebung eigentlich gar nicht mehr wahrnimmt.
Man hat die Tendenz, Straftätern, die ganz schwere Delikte begangen haben, die Menschenwürde abzusprechen. Und das geht nicht. Die Menschenwürde ist unteilbar. Im deutschen Grundgesetz steht: «Die Würde des Menschen ist unantastbar». Und das hat Konsequenzen, weil die Achtung der Menschenwürde eine absolute Pflicht für den Staat ist. (Anmerkung der Redaktion: Dasselbe gilt auch für die Schweizerische Bundesverfassung, Artikel 7: «Die Würde des Menschen ist zu achten und zu schützen.»)
Das Gespräch führte Nicoletta Gueorguiev.